Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
Ausdruck zu verbergen. Was war in letzter Zeit nur mit ihr nicht in Ordnung? Seit dem Frühling hatte eine düstere Stimmung immer mehr von ihr Besitz ergriffen, dabei hatte sie allen Grund, glücklich zu sein.
Zwei Gründe saßen direkt neben ihr. Grace wusste nicht, was sie in den vergangenen Jahren ohne Melias und Falkens Rat getan hätte – oder ihre Gesellschaft. Sie hatte ihre Eltern nie kennen gelernt, aber sie stellte sich oft vor, dass sie wie der Barde und die Lady gewesen waren.
Falkens Haar war mittlerweile mehr silbergrau als schwarz. Einige Zeit nach dem Krieg war allen klar geworden, dass der Barde – der über siebenhundert Jahre alt war – angefangen hatte zu altern. Auch wenn es ihnen in jenem Sommer in Perridon nicht bewusst geworden war, hatte der Fluch des ewigen Lebens, den Dakarreth über Falken verhängt hatte, mit dem Tod des Nekromanten geendet. Falken war wieder sterblich.
Aber er war noch immer derselbe Falken, und auch wenn er wölfischer als je zuvor aussah, hatte er noch immer das gleiche schallende Lachen und dieselbe magische Silberhand. Nun, da ihr Werk vollendet war – Malachor war gerächt, die Nekromanten vernichtet –, hatten er und Melia sich endlich die Liebe eingestehen können, die sie seit Jahrhunderten füreinander empfanden. Sie hatten vor zwei Jahren geheiratet, und sie wollten ihre restlichen Tage in Malachor verbringen.
Zumindest jedenfalls seine restlichen Tage. Denn Melia war die letzte der neun Neuen Götter, die nach Eldh herabgestiegen waren, um gegen die Nekromanten zu arbeiten, und auch wenn sie keine Göttin mehr war, so war sie immerhin noch unsterblich. Was würde mit ihr geschehen, sobald er gegangen war … sobald sie alle gegangen waren?
»Bist du sicher, dass es dir gut geht, Liebes?«, fragte Melia. Falken war Wein holen gegangen.
Grace zögerte, dann entschied sie sich, die Wahrheit zu sagen. »Ich musste gerade an dich und Falken denken, dass du … und dass er eines Tages …« Sie konnte sich nicht dazu überwinden, die Worte auszusprechen.
Melia schon. »Dass er eines Tages sterben wird, meinst du?« Ihr Blick folgte dem Barden; ihr Ausdruck war liebevoll. »Aber das ist kein Grund, traurig zu sein, Liebes. Bis dahin ist noch viel Zeit. Außerdem müssen wir alle eines Tages sterben.«
Sie strich sich mit der Hand durchs Haar, und Grace fiel es zum ersten Mal auf: Melias blauschwarzes Haar wies eine weiße Strähne auf. Wir müssen alle eines Tages sterben …
Grace hielt die Hand an den Mund, doch konnte sie das Stöhnen nicht unterdrücken.
Melia musterte sie, dann nickte sie.
»Wie?«, schaffte es Grace schließlich zu fragen.
»Als wir geheiratet haben, habe ich die Sterblichkeit gewählt.«
»Du … du kannst das tun?«
»Ich kann, und ich habe es. Das war die eine Macht, die mir noch geblieben war. Und diese Entscheidung kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.«
»Weiß er es?«
»Noch nicht. Aber er wird es irgendwann erfahren.« Sie berührte Graces Arm. »Bitte, Ralena. Lass mich diejenige sein, die es ihm sagt.«
»Die wem was sagt?« Falken stellte drei Pokale ab und setzte sich neben die Frauen.
Grace holte tief Luft. »Wie sehr wir dich lieben«, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Das Fest nahm seinen fröhlichen Verlauf. Falken und Melia tanzten, bis sich Kel einschaltete und die kleine Lady mit den Bernsteinaugen umherschleuderte, als wollte er mit ihr jonglieren, sehr zu ihrem und Falkens Vergnügen. Lord Olstin kam kurz vorbei und erwies Grace seinen Respekt, allerdings aß er wenig und trank nichts und zog sich bald zurück. Sein Neffe Alfin blieb bedeutend länger, auch wenn Grace kaum Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen, da Tarus den jungen Runenmagier fast den ganzen Abend für sich in Beschlag nahm. Grace fragte sich, ob sie wohl überhaupt schon bei Larad gewesen waren.
Aber wo steckte der Runenmeister überhaupt? Von all ihren Ratgebern war er in vielerlei Hinsicht der wichtigste. Seit sie ihn kennen gelernt hatte, hatte Larad immer das getan, was er für richtig hielt, ganz egal, was andere wollten, und ganz egal, welche Konsequenzen es für ihn hatte. Obwohl dieser Charakterzug und seine barsche Natur ihn manchmal schwer erträglich machten, hatte sie seinen Standpunkt immer ernst genommen.
Schließlich gab sie es auf, im Saal nach Larad Ausschau zu halten. Aber sie entdeckte Lursa. Die Hexe aus Embarr war mittlerweile verheiratet; ihr schöner Krieger hatte diese
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