Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
Zweifel.
Sie warf die Zeitung, die sie gekauft hatte, auf den Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl sacken. Eine Nachricht war fein säuberlich unter die Schreibtischunterlage gesteckt. Sie zog sie heraus. Sie war in Anders' präziser, enger Handschrift geschrieben.
Guten Morgen, Partnerin!
Beltan und ich wollten früh anfangen. Wir stöbern in der Stadt herum. Sind mittags wieder da. Sollen wir im M.E. essen?
Tschüs!
Anders
Deirdre zuckte zusammen. Ihr Götter, selbst wenn er schrieb, klang er übertrieben munter. Sie wollte den Zettel in den Papierkorb werfen, dann hielt sie inne, faltete ihn sorgfältig zusammen und steckte ihn wieder unter die Schreibtischunterlage.
Sie hasste das. Sie hasste die Art und Weise, wie sie sich fühlte, und sie hasste das, was sie tun würde. Aber sie hatte keine Wahl. Wieder stellte sie sich die Frage, die an ihr nagte.
Woher wissen die Zauberer hier auf der Erde über das Blut der Macht in Travis' Adern Bescheid?
Die einzigen Leute, die das wissen konnten, waren Travis' engste Gefährten. Und jeder Sucher, der die Akten des Falls Wilder-Beckett gelesen hatten. Deirdre konnte nicht glauben, dass Beltan oder Vani die Zauberer informiert hatten. Was bedeutete, dass es nur eine andere Möglichkeit gab.
Unter den Suchern ist ein Verräter, und Sasha muss das wissen – oder es zumindest vermuten. Darum wollte sie dich gestern warnen. Jemand mit Zugang zu den Berichten über Travis ist mit den Zauberern verbündet.
Und sosehr sich ihr Herz auch dagegen sträubte, alle Zeichen wiesen auf eine Person hin. Er hatte alle Berichte über Travis gelesen. Er war dazu fähig, Geheimnisse zu bewahren; das bewies die Waffe, die er trug. Und die Nacht, in der die Scirathi angegriffen hatten … sein Erscheinen in der U-Bahn-Station grenzte fast schon ans Wunderbare.
Aber das ergibt doch keinen Sinn. Wenn Anders wirklich für die Scirathi arbeiten würde, warum hat er euch dann alle gerettet?
Aus dem gleichen Grund, aus dem er großartigen Kaffee kochte und Blumen fürs Büro mitbrachte. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, ihre Zuneigung.
Denk darüber nach, Deirdre. Niemand hat gesehen, wie er den Zauberer niedergeschossen hat, den er angeblich getötet hat. Du hast seinen Bericht gelesen. Selbst Eustace hat es nicht gesehen. Ein Scirathi hätte Anders bloß eine ihrer goldenen Masken geben müssen, um seiner Geschichte Gewicht zu verleihen.
Der Gedanke machte sie krank, aber sie konnte ihn nicht verwerfen, sosehr sie das auch wollte. Ihr Großvater hatte ihr immer gesagt, sie solle auf ihren Instinkt vertrauen. Und sämtliche Instinkte sagten ihr jetzt, dass Anders etwas verbarg.
Also was sollte sie tun?
Halte ihn in deiner Nähe. Und verhalte dich nicht so, als hätte sich alles verändert. Wie auch immer sein Auftrag lautet, er ist noch nicht vollendet, sonst würde er dieses Spiel nicht länger spielen. Je länger du ihn in dem Glauben halten kannst, dass du nichts weißt, umso größer sind deine Chancen herauszufinden, was er im Schilde führt.
Deirdre massierte sich die pochenden Schläfen. Sie hatte die ganze Nacht damit verbracht, immer wieder über diese Fragen nachzudenken. Im Augenblick wollte sie nur noch an etwas anderes denken – egal was. Sie entfaltete die Ausgabe der Times, die sie gekauft hatte, und beugte sich darüber.
Aber die Zeitung bot nur wenig Trost. Auf der Titelseite stand ein Artikel über die weltweite Zunahme verheerender Naturphänomene in den vergangenen paar Monaten. Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hurrikans – das alles geschah mit größerer Häufigkeit als sonst. Der Artikel verwarf den allgemeinen Glauben, dass die Veränderungen im Erdklima das Resultat der kosmischen Anomalie waren, und boten stattdessen diverse Theorien über mögliche geologische und meteorologische Ursachen. Aber Deirdre wusste, dass sich der Artikel irrte.
Es ist das Perihel. Das hat der Philosoph gesagt. Eldh kommt näher, und irgendwie beeinflusst das die Erde. Es ist wie der Sog der Schwerkraft.
Nur dass es nicht die Schwerkraft war, sondern etwas anderes. Aber was? Magie? Deirdre wusste bloß, dass es kein Zufall gewesen war, dass ein Erdbeben Kreta heimgesucht und den Torbogen enthüllt hatte.
Und was ist mit dem schwarzen Fleck im All? Es kann kein Zufall sein, dass er jetzt auftaucht, wo sich das Perihel nähert.
Dem Bericht zufolge, den sie in den Morgennachrichten im Fernsehen gesehen hatte, war die Anomalie jetzt in der nördlichen Hemisphäre mit bloßem
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