Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
glücklicher Zufall. Ein Akt des Schicksals, wie sie es nennen würden. Aber sie sind nicht aus diesem Grund auf unsere Welt gekommen.«
»Aber wo können wir einen Scirathi finden?«, sagte sie und konnte nicht verhindern, dass ihre Worte so verzweifelt klangen, wie sie gemeint waren.
»Das ist ganz einfach. Dieser Beltan hat etwas, das die Scirathi unbedingt haben wollen, etwas, das sie mit Sicherheit hervorlockt. Wo Sie hingehen müssen – ich glaube, da haben Sie bereits eine Ahnung. Die Gegenseite weiß jetzt, was in Travis Wilders Adern fließt. Sie halten Wache, nur für den Fall, dass er wieder auftaucht.«
Deirdre glaubte möglicherweise zu verstehen, aber sie musste sicher sein. Doch er kam ihr zuvor.
»Übrigens, Ihre Freundin Sasha hatte Recht mit dem, was sie Ihnen heute gesagt hat.«
»Was?« Es war das einzige Wort, zu dem sie im Stande war.
»Sie wissen nicht, was Sie zu wissen glauben, Deirdre. Das ist das Einzige, dessen Sie sich sicher sein können. Glauben Sie ja nicht, dass Sie jemand anderem außer sich selbst vertrauen können. Selbst unter den Suchern gibt es welche, die gegen Sie arbeiten würden.«
»Ich verstehe nicht.« In ihren Ohren dröhnte ihr Pulsschlag.
»Warum nehme ich wohl immer auf diese geheimniskrämerische Art und Weise Kontakt mit Ihnen auf, was glauben Sie? Im Gegensatz zu dem, was Sie vielleicht glauben, geschieht das keineswegs zu meinem Amüsement. Ich tue es, weil es da Leute gibt, die, wenn sie wüssten, was ich Ihnen gesagt habe, keinen Moment zögern würden und Sie …« Er verstummte. »Nein, das ist jetzt nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass Sie eines begreifen: Es gibt vieles, das Sie nicht wissen, das Sie nicht einmal erahnen. Und es gibt jene, die alles tun würden, damit es auch so bleibt.«
Das Handy in Deirdres Hand war glitschig vom Schweiß. »Was soll ich tun?«
»Das kann ich ihnen nicht sagen, Deirdre. Aber ich gebe Ihnen etwas, über das Sie nachdenken können. Die Zauberer haben Travis Wilders Blut benutzt, das sie aus dem Magen eines Gorleths geholt haben, um das Tor-Artefakt in ihrem Besitz mit Energie zu versorgen und das Mädchen zu entführen.«
»Das wissen wir bereits.«
»Gut. Jetzt fragen Sie sich doch einmal das eine: Wie konnten die Zauberer das wissen? Woher konnten sie wissen, dass in Travis Wilders Adern Blut der Macht fließt, Blut, das ihr Tor aktivieren konnte?«
Deirdre bekam seine Worte kaum mit. Sie konnte spüren, dass er ihr entglitt. »Bitte, legen Sie nicht auf. Es gibt so viele Fragen, und ich habe keine Ahnung, wie ich die Antworten herausbekommen soll.«
»Das ist nicht wahr, Deirdre. Sie sind eine einfallsreiche Frau. Ich habe vollstes Vertrauen, dass Sie eine Möglichkeit finden werden, die Antworten in Erfahrung zu bringen.« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern. »Und ich glaube, es kommt eine Zeit, in der alle Fragen beantwortet werden. Das Perihel nähert sich. Diese Welt und die Anderswelt kommen einander jeden Tag näher. Es ist kein Zufall dass das Erdbeben auf Kreta den Torbogen enthüllt hat. Seit langem begrabene Dinge kommen ans Tageslicht, weil sie enthüllt werden müssen.«
»Was meinen Sie«, rief Deirdre. »Welche Dinge müssen gefunden werden?«
Aber die einzige Antwort war das Freizeichen an ihrem Ohr.
23
Es war schon nach zehn, als Deirdre sich am nächsten Morgen ins Stiftungshaus schleppte. Sie blieb am Empfang stehen, nahm einen an einer Kette befestigten Kugelschreiber und trug sich auf dem Klemmbrett ein. Madeleine, die Empfangsdame, schaute von ihrem Computer auf, obwohl ihre Finger weiterhin auf die Tastatur einhämmerten. »Wie schön, dass Sie sich heute doch noch zu uns gesellen, Miss Falling Hawk.« Sie blickte über den Rand der Lesebrille mit den halbmondförmigen Gläsern.
Deirdre war nicht in der Stimmung für Ironie. »Sie haben ›Hochachtungsvoll‹ falsch geschrieben«, sagte sie und zeigte auf Madeleines Bildschirm.
Die Empfangsdame warf ihr einen finsteren Blick zu, den Deirdre immerhin seiner Ehrlichkeit wegen schätzen konnte, dann schob sie die Brille hoch und studierte den Bildschirm. Deirdre ging den Korridor entlang und dann eine Treppe zu ihrem Büro hinunter.
Anders war nicht da. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Hinsichtlich des Kaffees war es sicherlich das Letztere, wegen allem anderen konnte es nur das Erstere sein. Sicherlich hätte er es in dem Moment, in dem sie ihn ansah, von ihrem Gesicht abgelesen.
Weitere Kostenlose Bücher