Die letzte Schlacht
der vordersten Bank, rechts neben ihm Hesther Naravny, die Mutter des Aufstiegs. Ihre Schwester Meera, Gorians Mutter, hatte links neben Ossacer Platz genommen, gleich hinter ihnen die vier Angehörigen der zehnten Linie. Obwohl fast erwachsen, waren sie jetzt kaum mehr als verängstigte Jugendliche. In der dritten Reihe saßen drei Zwölfjährige, die elfte Linie. Sie waren erst vor Kurzem erwacht und offenbar sehr verwirrt. Zwei weitere Angehörige der alten Autorität, Gwythen Terol und Andreas Koll, saßen links und rechts neben ihnen. Der arme Andreas, er war inzwischen hundertvier Jahre alt. Seine Hingabe an Gott sollte nicht in diesem Alter noch infrage gestellt werden.
Arducius war froh, dass der alte Willem Geste, der inzwischen über hundertdreißig war, wohlbehalten in Westfallen lebte und damit den Klauen der Kanzlerin entzogen war. Jeden Tag warteten sie auf den Ruf, zu seiner Zeremonie am Haus der Masken zurückzukehren. Doch Gott hatte noch eine Verwendung für ihn, so beschränkt sie zwangsläufig auch sein musste.
»Es sieht nicht besonders gut aus«, flüsterte Arducius Hesther ins Ohr. »Das ist kaum ein neutraler Gerichtshof, der gewogen ist, uns unsere Zyklen fortsetzen zu lassen, oder?«
»Doch wir stehen nicht ganz ohne Verbündete da. Aurelius ist klug, und wir sollten dankbar sah, dass die Generäle dich für eine starke Waffe halten. Ohne vernünftige Untersuchung und Verteidigung wird hier kein Urteil gesprochen.«
»Dennoch werden sie uns für schuldig befinden.«
»Höchstwahrscheinlich. An diesem Punkt wird sich zeigen, ob unsere Verbündeten zu uns stehen oder uns fallen lassen. Es kann Berufungen und Einsprüche geben. Alles, um den Urteilsspruch aufzuschieben, bis Herine zurückkehrt. Die Kanzlerin weiß das natürlich. Jetzt werden wir sehen, wer dieses Spiel besser beherrscht.«
»Wir verschwenden unsere Zeit«, sagte Arducius. »Wir kommen nicht mehr zum Trainieren, und Gorian nähert sich.«
»Wir müssen so viel Zeit verschwenden, wie wir nur können«, erwiderte Hesther lächelnd. »Es ist wirklich paradox. Sorge du nur dafür, dass dein Bruder nicht verzagt. Auch wenn du ihn hasst, wir brauchen ihn heute Morgen.«
Arducius nickte. »Wir haben gestern Abend geredet.«
»Gut.«
»Hesther, ich kann Orin nirgends entdecken.«
»Er wird schon kommen.«
»Er müsste längst da sein.«
»Er wird kommen.« Hesther sah sich in der Basilika um. Wie Arducius hatte auch sie den leeren Platz neben Marcus Gesteris bemerkt. »Wahrscheinlich will er seine Karten nicht zu früh auf den Tisch legen.«
Arducius war mit der Erklärung nicht zufrieden. Sie brauchten jede Hilfe, die sie nur bekommen konnten.
Aurelius stand auf, und das Getuschel in der Basilika verstummte. Draußen hallten Gesänge durch die Säulengänge. Koroyan lächelte zufrieden, Arducius schauderte. Die Erinnerungen an die Morde auf dem Forum von Westfallen erwachten.
»Die Anklagen sind eingereicht und verlesen. Das Verfahren wegen Ketzerei wird nun beginnen, und dabei werden alle Verfahrensvorschriften und Gesetze ganz genau befolgt.« Aurelius warf der Kanzlerin einen scharfen Blick zu. »Hörensagen werde ich nicht berücksichtigen und ebenso verwerfen wie Erfindungen und Übertreibungen. Wer ohne ausdrückliche Erlaubnis spricht, wird der Basilika verwiesen. Wer auf den Zuschauerbänken das Bedürfnis hat, für die eine oder andere Seite die Stimme zu erheben, sollte es sich genau überlegen. Ich werde nicht zögern, die Kammer räumen zu lassen, wenn ich es für notwendig halte. Wir wollen nicht vergessen, wer hier trotz aller hochgestellten Beteiligten den Vorsitz innehat.«
Aurelius tippte sich auf die Brust. »Ich habe den Vorsitz. Meine geehrten Sprecher des Feuers und der Erde werden mich bei der Urteilsfindung unterstützen, doch in jeder anderen Hinsicht bin ich der einzige Richter. Ich hoffe, dies ist allen Anwesenden klar. Kanzlerin, Ihr habt das Wort.«
Aurelius setzte sich. Koroyan tauschte sich kurz mit ihren Sprechern aus, bevor sie sich erhob. Wie immer war sie eine beeindruckende und charismatische Erscheinung. Ihre Energien brannten hell und waren innig mit der ganzen Welt und allem verbunden, was der Allwissende seinen Menschen schenkte. Sie trug eine formelle Toga mit der grünen Schärpe der Advokatur und den goldenen und purpurnen Verzierungen, die ihren Rang im Orden zeigten. Auf dem ergrauten Haar trug sie eine Tiara aus verflochtenen Blättern und Wurzeln mit einem Abbild der
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