Die letzte Schlacht
ihren toten Kämpfern oder was auch immer zurückgeschlagen haben.«
»Oh.« Tuline griff wieder nach der Mappe.
»Im Augenblick sind wir allerdings unter Freunden«, erklärte Herine. »Deshalb musst du dir keine Sorgen machen. Sobald wir wieder in Estorr sind, bekommen wir die neuesten Nachrichten aus allen Gebieten, und dann können wir zusammen mit der Marschallgeneralin kluge Entscheidungen treffen.«
»Wirst du auch die Aufgestiegenen in den Kampf schicken?«
»Wo immer Gorian ist, sollen sie die Ersten sein, die ihn bekämpfen werden, glaube mir.«
»Was passiert, wenn wir die Tsardonier besiegt haben? Anscheinend sind wir jetzt von Feinden umzingelt. Die Konkordanz war so groß, jetzt ist sie zerbrochen.«
Herine legte die Hand unter das Kinn ihrer Tochter und drehte deren Kopf zu sich, bis ihre Blicke sich trafen. Tuline standen die Tränen in den Augen, eine rann ihr sogar schon über die Wange. Herine wischte sie ab. Ihre Tochter war ihr so ähnlich. Tuline, die sie für nichtsnutzig gehalten hatte, erwies sich jetzt als leidenschaftliche, fähige Stütze. Eine wundervolle Tochter, die ihre beiden wundervollen Söhne ergänzte. Roberto musste inzwischen in Gosland bei Adranis sein. Diese Grenze war so sicher, wie sie es überhaupt sein konnte. Sie hatte ihre besten Leute an den richtigen Stellen postiert. Jhered würde sie mit genauen Informationen versorgen, sobald sie zurückgekehrt war. Es war ein beruhigender Gedanke. Sie lächelte.
»So schwach sind wir gar nicht. Das Herz der Konkordanz schlägt immer noch stark, und du darfst den Glauben daran nicht verlieren. Die Del Aglios sind Optimisten, aber auch Realisten. Jene, die wir für Freunde hielten, haben uns verraten, aber das heißt nicht, dass sich das ganze Land gegen uns gewendet hat. Es sind nur Einzelne, die man ersetzen kann.
Der Verlust von Dornos, Tundarra und Phaskar, auch das Kriegsrecht in Bahkir … das sind nur vorübergehende Erscheinungen. Die Menschen haben Angst und wenden sich ab, statt bei uns Hilfe zu suchen. Das ist sehr enttäuschend, aber sie werden die gleiche Lektion lernen müssen wie Atreska. Was zur Konkordanz gehört, ist höchstens vorübergehend außer Reichweite, aber nie verloren. Wir finden immer wieder, was uns gehört, und behalten es. Ganz egal, wie lange es dauert.«
4
859. Zyklus Gottes,
40.Tag des Genasauf
G esänge, die jenseits des Siegestores laut wurden und die Aufgestiegenen schmähten, sollten das ganze Verfahren begleiten. Die Neuigkeit hatte sich in alle Winkel der Stadt und noch darüber hinaus verbreitet. In den Straßen und Gassen und auf allen Plätzen in der Nähe des Palasts drängten sich die Bürger und warteten auf neue Nachrichten. Schon hatte es hässliche Szenen gegeben. Unterstützer der Aufgestiegenen hatten eine Gegendemonstration veranstaltet und ihrerseits die Kanzlerin geschmäht. Bei den darauf folgenden Auseinandersetzungen waren einige Menschen gestorben, und die Stimmung war aufgeheizt und aggressiv. Alle Palastwachen und alle Gardisten des Aufstiegs, alle estoreanischen Legionäre und sogar die Angehörigen der konkordantischen Marine, die Ocetanas, die sich zufällig im Hafen befanden, waren zwangsweise zum Dienst verpflichtet worden.
In der Basilika herrschte ein ohrenbetäubender Lärm, als die Aufgestiegenen und die Würdenträger der Akademie auf drei Sitzreihen seitlich vom Thron Platz nehmen mussten. Gegenüber saß die Kanzlerin mit den Sprechern der Winde und der Meere. Der Thron war Aurelius vorbehalten, zu seiner Linken saß der Sprecher der Erde, rechts von ihm der Sprecher des Feuers.
Das Verfahren unterstand wie alle Angelegenheiten von Glauben und Ketzerei der Rechtsprechung des Ordens. Es war ein Glück, dass Aurelius ein starker Mann war und sich entschlossen hatte, die Advokatin als Erster Sprecher des Allwissenden würdig zu vertreten.
Dennoch roch es nach Unrecht. Auf den Zuschauerbänken saß alles, was in Estorr Rang und Namen hatte – Kaufleute, Ordenspriester, höhere Offiziere, Verwalter der Konkordanz. Die Kanzlerin hatte jedoch dafür gesorgt, dass eine ordentliche Anzahl gewöhnlicher Bürger anwesend waren und ihren Hass und ihre Verblendung herausbrüllen konnten.
Ringsherum war zum Schutz des Gerichts die Palastwache angetreten. So bestand keine Gefahr, es könnte ein Standgericht daraus werden, wie Koroyan es sicherlich vorgezogen hätte, aber es gab gewiss auch keine Möglichkeit zur Flucht.
Arducius saß mit Ossacer in
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