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Die letzte Schoepfung

Die letzte Schoepfung

Titel: Die letzte Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Lewin
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einer Wand zur anderen, fünf Schritte zurück. Wenn man oft genug auf und ab schritt, rückten die Wände immer näher, und man bekam Angst, in der Beengtheit verrückt zu werden. Deshalb war das Fenster Sydneys Rettungsanker; dort stand sie tagsüber, verbrachte schier endlose Stunden in Sorge um Callie und mit der bohrenden Frage, wann Ethan endlich käme. Denn er würde kommen und sie von diesem scheußlichen Ort fortbringen, davon war sie überzeugt.
    Oder er würde bei dem Versuch sterben.
    Bei dem Gedanken krampfte sich Sydneys Magen zusammen. Gerade erst hatte sie Ethan wiedergefunden; gerade erst verstand sie, was wirklich zwischen ihnen geschehen war, als Nicky starb. Sie durfte Ethan jetzt nicht wieder verlieren. Doch nichts und niemand würde ihn davon abhalten, hierher zu kommen und sein Leben aufs Spiel zu setzen – und ein Teil Sydneys, der verängstigte, selbstsüchtige Teil, liebte ihn dafür.
    Um sich von der Angst abzulenken, betrachtete sie die Gebäude und Menschen, die ein und aus gingen. Von ihrem Zimmer aus blickte sie auf einen u-förmigen Bau, der an drei Seiten einen grasbewachsenen Hof umschloss. Die offene Seite lag zum Meer und zu den Landungsbrücken hin. In den ersten Tagen hatte es dort kaum etwas Bemerkenswertes zu sehen gegeben: Das Personal ging seiner Arbeit nach, schlenderte über die kreuz und quer durch den Rasen verlaufenden Wege von einem Gebäude zum anderen.
    Sydney versuchte zu erraten, womit diese Leute beschäftigt waren. Die Personen mit den Laborkitteln waren Ärzte oder – falls ihre Theorie stimmte – Wissenschaftler und Assistenten. Die jüngeren Männer und Frauen mit den Kindern waren Lehrer und Trainer. Eine Frau mittleren Alters im Kostüm arbeitete vermutlich in der Verwaltung. Die Leute, die weiße Uniformen trugen und stets in kleinen Gruppen unterwegs waren, gehörten zur Küche oder zum Reinigungspersonal. Alles schien so normal, dass Sydney geglaubt hätte, es handele sich um ein Eliteinternat, hätte sie es nicht besser gewusst.
    Doch dann, gestern, war eine dramatische Veränderung eingetreten und hatte Sydney daran erinnert, dass dieser Ort alles andere als normal war. Im Laufe des Tages hatten immer mehr Angestellte die Insel verlassen. Am Nachmittag war sie wie ausgestorben erschienen, doch die Stille war mit einer unheilvollen Atmosphäre aufgeladen, als würde etwas Schreckliches geschehen.
    Dann landeten mehrere voll besetzte Boote am Kai, und Sydney begriff.
    Avery Cox hatte sein Personal durch Söldner ersetzt.
    Hatten die Chancen für eine Befreiung gestern schon schlecht gestanden, erschienen sie jetzt unmöglich.
    Endlich kamen die Kinder in den Hof. Sydney war nicht sicher gewesen, ob sie heute erscheinen würden, doch sie stellten sich wie immer in drei Reihen auf und ein junger Mann, den Sydney vorher nie gesehen hatte, nahm seinen Platz vor den Kindern ein und ließ sie Aufwärmübungen machen.
    Sydney hielt nach Callie Ausschau, wie jeden Morgen. Sie suchte die Fensterreihen ab und hoffte, irgendwo ein kleines Mädchen zu entdecken, das sein Gesicht an die Fensterscheibe drückte. Sydney wusste, dass Callie den anderen Kindern zuschauen würde, falls es ihr möglich war – falls sie sich erholt hatte und sich kräftig genug fühlte, und falls die Wärter es erlaubten.
    Auf ein Wort des Lehrers nahmen die Kinder die erste Tai-Chi-Stellung ein, und Sydneys Aufmerksamkeit wurde wieder auf das Geschehen im Hof gelenkt. Die Kinder bewegten sich mit erstaunlicher Anmut. Sie sahen ganz und gar nicht so aus, als wären sie missbraucht oder misshandelt worden. Stattdessen wirkten sie, als ob…
    Die Tür in ihrem Rücken ging auf, doch Sydney drehte sich nicht um. Sie hatte es aufgegeben, dem Mann, der ihr das Essen brachte, irgendwelche Fragen zu stellen.
    »Sie sind wunderschön, nicht wahr?«
    Überrascht wandte Sydney sich um. Unter der Tür stand ein Mann in mittleren Jahren.
    »Ich bin Dr. Paul Turner.« Mit ausgestreckter Hand kam er auf sie zu. »Der Leiter dieser Einrichtung.« Als Sydney die dargebotene Hand nicht nahm, trat er beiseite, um einem Wachmann Platz zu machen, der einen Teewagen in den Raum schob, der für zwei gedeckt war. »Ich dachte, Sie hätten zur Abwechslung gern einmal Gesellschaft.«
    Das also war der ›Oberwärter‹, wie Danny ihn genannt hatte. Sydney hätte sich am liebsten auf ihn gestürzt, beherrschte sich aber. Dieser Mann war vielleicht ihre einzige Chance, etwas über Callie zu erfahren.
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