Die letzte Schoepfung
er sich vom Computertisch weg. Einige Minuten verharrte er regungslos, konnte kaum atmen. Wieder einmal stand der Tod hinter ihm, bereit, ihn für sich zu fordern. Nur sah Paul diesmal keinen rettenden Engel, der ihm einen Ausweg zeigen konnte.
Er wusste nun, wo die vermissten Kinder zu finden waren.
Vor fast drei Tagen waren sie verschwunden. Fast zweiundsiebzig Stunden. Und mit jeder weiteren Stunde wurde zweifelhafter, dass Cox' Leute sie fanden. Ein erschreckender Verlust, doch Paul hatte gelernt – auch im übertragenen Sinne –, einen klaren Kopf zu behalten.
Dank Anna Kelsey.
Da es die Firma gewesen war, die Anna auf Haven Island versetzt hatte, konnte Cox ihn, Paul, nicht für Annas Handlungen verantwortlich machen. Eine solche Frau war Paul noch nicht untergekommen; sie hätte sich niemals seinem Reglement untergeordnet. Sogar Morrow hatte das zugegeben. Aber nun konnte er mit einem Telefonanruf alles wieder ins Lot bringen.
Paul wusste nicht nur, wohin Danny geflohen war – er wusste sogar den Grund. Der Junge hatte sich in den Zentral-Computer eingeklinkt und Geburtsdaten und Gott weiß was sonst noch herausgefunden. Das war die Erklärung, warum er fortgelaufen war, warum er Callie mitgenommen hatte und wo sein Ziel lag.
Paul schloss die Augen, und eine Welle der Furcht überkam ihn.
Zuerst hatte er gebetet, er möge sich irren, doch nachdem er seine Ergebnisse wieder und wieder überprüft hatte, wusste er, dass es nicht der Fall sein konnte. Nun saß er seit acht Stunden vor dem Computer. Das Ergebnis war unwiderlegbar. Danny war zwar clever genug gewesen, sich in das System zu hacken, doch er hatte auch Spuren hinterlassen.
Jedes Mal, wenn eine geschützte Datei geöffnet wurde, verzeichnete das System einen Eintrag über Zeitpunkt, Datum und Benutzer-ID. Das hatte der Junge zwar gewusst und die Einträge verändert, um seine Spuren zu verwischen, und deshalb hatte man seine Aktivitäten zunächst nicht bemerkt. Doch Danny hatte offenbar nicht gewusst, dass parallel zum Eintrag auch eine Sicherungskopie auf einer WORM-(write-once-read-many)-Diskette erstellt wurde. Wenn er am Schluss seiner Sitzung den Online-Eintrag veränderte, war es schon zu spät: Seine Schnüffelei war bereits auf einem nicht veränderbaren Teil der Hardware verewigt.
Es dauerte einige Zeit und war sehr mühsam, doch Paul hatte schließlich jeden Online-Eintrag mit der WORM-Version vergleichen können und die Unterschiede gefunden.
Paul wusste, dass er eigentlich stolz sein sollte auf diesen Zwölfjährigen, dem es gelungen war, den Computer von Haven Island zu knacken, der auf dem modernsten Stand der Technik war. Immerhin hatte er diesen Jungen sozusagen erschaffen. Aber Stolz war es kaum, was Paul verspürte, eher kalte, lähmende Furcht.
Er hätte schreien mögen, wenn er an die Ungerechtigkeit dachte. Es war nicht seine Schuld. Er war doch kein verdammter Lehrer oder Psychologe. Er hatte Kinder nie allzu sehr gemocht und hielt auch heute noch, auf der Insel, so wenig Kontakt wie möglich zu den jungen Zöglingen. Jemand von seinem Stab hätte ihn warnen müssen. Irgendjemandem mussten die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Jungen doch aufgefallen sein! Ob Danny nun klüger oder motivierter war, als man angenommen hatte – einer vom Lehrpersonal hätte es wissen sollen.
Cox aber würde ihn, Paul, verantwortlich machen.
Paul barg das Gesicht in den Händen und verfluchte den Tag, an dem er Cox kennen gelernt hatte. Welchen Weg er auch wählte, Paul würde niemals heil aus dieser Geschichte herauskommen. Wenn er sein Wissen offenbarte, würde Cox die Kinder finden; aber dann musste Paul auch zugeben, dass Danny sich bereits seit geraumer Zeit ins Computersystem hackte – vielleicht schon seit einem Jahr. Und das wäre katastrophal. Cox' Leute würden das Kommando übernehmen und auf der Suche nach Sicherheitslecks die Insel auf den Kopf stellen. Wenn Paul sein Wissen hingegen für sich behielt, Cox es aber dennoch herausfand, oder wenn sie Danny aufspürten und der Junge alles gestand…
Das Interkom summte.
Paul richtete sich auf, bemühte sich trotz der in seinen Eingeweiden wühlenden Angst um einen gelassenen Ton und drückte den Knopf. »Was gibt's, Sheila?«
»Dr. Bateman hat aus der Krankenstation angerufen«, sagte seine Assistentin. »Er hat gefragt, ob Sie gleich hinüberkommen könnten.«
»Hat er gesagt, worum es geht?«
»Es geht um Adam.« Sie machte eine Pause. »Er ist krank.«
Paul
Weitere Kostenlose Bücher