Die letzte Schoepfung
Querstraßen.
Danny und Callie waren vorher erst einmal in einer Mall gewesen, mit Anna, gleich nach der Flucht von der Insel, weil Anna meinte, sie brauchten neue Sachen zum Anziehen, um nicht so aufzufallen. Danny hatte ihr Recht geben müssen. In den Haven-Klamotten – dunkle Wolle, gestärkte weiße Hemden und Blazer – sahen sie aus, als kämen sie vom Mond.
Für zwei Kinder, die nie in einem Einkaufszentrum gewesen waren, war es ein überwältigendes Erlebnis. Zuerst wollten sie nur so schnell wie möglich hinaus, weil sie so viele Menschen an einem Ort kaum ertragen konnten. Doch nachdem sie den anfänglichen Argwohn überwunden hatten, war die Mall einer der tollsten Orte für sie, die sie je gesehen hatten.
Anna hatte ihnen erzählt, dass es solche Malls im ganzen Land gab. Danny wollte das nicht glauben. Aber hier standen sie nun, auf halbem Weg zur Ostküste, und erkannten, dass Anna die Wahrheit gesagt hatte.
Diese Mall war nicht so groß wie die in Seattle, aber immer noch beeindruckend genug. Danny konnte sich zwar nicht vorstellen, wozu man so viele verschiedene Geschäfte brauchte, aber je mehr, desto besser. Außerdem waren hier viele andere Kinder, manche mit Erwachsenen, manche ohne. Jeder war nur mit sich selbst beschäftigt. Mehr noch als auf der Straße hatte Danny das Gefühl, er und Callie wären unsichtbar. Niemand würde auf sie zukommen und fragen, was sie hier verloren hatten.
An einem Stand bestellten sie zwei Pizzen und Cola. Seit der Flucht von Haven war das ihr Lieblingsessen. Das Mädchen hinter der Theke, ein Teenager mit stacheligen rosaroten Haaren und einem Nasenring, nahm das Geld entgegen und bediente sie ohne ein Lächeln. Fragen stellte sie keine.
Danny trug die Tabletts zu einem Ecktisch, und sie aßen schweigend. Besonders Callie war still und betrachtete die Umgebung mit großen Augen. Danny überlegte, wie es ihr wohl ging, wollte sie aber lieber nicht fragen. Callie hatte zwar nicht mehr gehustet, war jedoch blass. Trotz der Sorge um seine Schwester schmeckte Danny das Essen; es tat ihm sehr gut und gab ihm seine Zuversicht zurück. Immerhin waren sie jetzt in der Stadt, in der ihr Vater zu Hause war. Sie waren daheim. Wenn Callie erkrankte, würde Dad dafür sorgen, dass sie wieder gesund wurde.
Während sie aßen, betrachtete Danny einen Laden, der ›Aladins Video Arkade‹ hieß. Dort ging es lauter zu als in anderen Geschäften. Ständig strömten Kinder hinaus oder hinein. Von seinem Platz aus schien es Danny, als wären dort irgendwelche Spiele zu haben.
Mal nachschauen konnte nicht schaden.
Außerdem wollte er die Mall noch nicht verlassen, weil er keine Ahnung hatte, wohin Callie und er dann gehen sollten. Er wusste zwar die Adresse seines Vaters, nicht aber, wie man dorthin kam. Da hätte er einen Erwachsenen fragen müssen – und diesen Fehler wollte er nicht wieder machen.
»Lass uns mal in den Laden da drüben gehen«, sagte er zu Callie, als sie die Pizza aufgegessen hatten. »Sieht doch lustig aus!«
Callie blickte ihn ernst an. »Geh du. Ich warte hier.«
»Ich kann dich doch nicht allein lassen.« Schließlich war sie erst sieben. »Komm schon, das wird toll!«
»Aber…«
»Was ist denn?«
»Da sind doch nur Jungs. Und … große Kinder.«
Sie hatte Recht. »Da«, sagte Danny trotzdem und zeigte auf ein schlaksiges Mädchen, das neben einem der größeren Jungen stand. »Guck mal … du bist nicht das einzige Mädchen.«
»Die ist 'n Teenager«, meinte Callie, als wäre es eine Krankheit.
»Ist schon in Ordnung. Ich bin ja bei dir.« Danny nahm die Tabletts und brachte sie zu einem Mülleimer, wie er es bei den anderen Leuten gesehen hatte. Als er zurückkam, sagte er: »Komm schon, das macht Spaß. Du wirst sehen.«
Callie beäugte den Laden misstrauisch, willigte schließlich aber ein. Vielleicht wollte sie auch nicht auf die Straße hinaus.
Im Videoladen war es noch toller, als Danny gedacht hatte. Es gab alle möglichen Spiele. Bei manchen saß man auf einem Fahrersitz, während auf einem Bildschirm ein Film lief, dass man das Gefühl hatte, man würde ein Rennauto fahren oder einen Jet fliegen. Bei anderen Spielen musste man Scheiben werfen oder Kugeln rollen. Die meisten Videospiele wurden jedoch im Stehen gespielt, und manche kamen Danny wie vergrößerte Versionen der Spiele auf seinem Gameboy vor.
Die Kids – die meisten waren schon älter, wie auch Danny zugeben musste – spielten allein oder in Grüppchen zu zweit
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