Die Letzte Spur
zum Beispiel. Obwohl mir Mrs. Hamilton lieber wäre!«
Der Mann ist einfach widerlich, dachte Rosanna.
Marc sah sie an. »Wäre es Ihnen lieber, wenn ich …«
Sie konnte es sich nicht vorstellen, in dieser Trostlosigkeit auch noch allein zu sein. »Nein. Bleiben Sie hier oben. Das ist schon okay.«
Marc wirkte erleichtert. Cadwick frustriert.
»Na dann«, meinte er zögernd, »wenn ich nichts mehr für Sie tun kann … Möchten Sie nicht doch Ihren Sherry unten noch mit mir trinken?«
»Wir sind sehr müde, Mr. Cadwick«, sagte Marc freundlich, aber bestimmt, »wir würden jetzt gern schlafen gehen. «
Cadwick schob sich im Zeitlupentempo zur Tür seines Apartments hinaus. Er kämpfte um jede Sekunde. Als er endlich draußen war, schloss Marc sehr nachdrücklich die Tür und lehnte sich von innen dagegen. Rosanna fiel auf, wie erschöpft er aussah.
»Schöne …«, begann er, verschluckte aber den Rest.
Rosanna waren ihre Manieren für den Moment egal.
»Scheiße«, vollendete sie seinen Satz.
Sie hatte das Wort noch nie inbrünstiger ausgesprochen.
Teil 2
Sonntag, 17. Februar
1
Marina Dowling hatte sich angewöhnt, jeden Morgen eine halbe Stunde zu joggen, gnadenlos, auch bei eisiger Kälte, Regenschauern oder dichtem Nebel, denn sie war eindeutig dabei, sich in eine vollschlanke Matrone zu verwandeln. Nicht, dass sie bereits richtig fett gewesen wäre. Aber überall an ihrem Körper saß genau so viel Speck, dass sie eben nicht mehr als wirklich schlanke Gestalt gelten konnte. Die Hüften etwas zu breit, der Bauch zu sehr gewölbt, und von ihrem Hintern und ihren Oberschenkeln wollte sie lieber gar nicht reden. Die meisten Frauen in dieser etwas biederen, sehr gepflegten Wohnsiedlung im Süden Londons sahen so aus, waren Ende dreißig oder Anfang vierzig und schlugen sich mehr oder weniger erfolgreich mit ihren Pfunden herum. Sie hatten Mann und Kinder und meist keinen Beruf, und sie trafen sich nachmittags zu oft mit ihren Freundinnen auf einen Drink mit irgendwelchem Knabberzeug dazu. Marina gehörte nicht wirklich dazu, schon deshalb nicht, weil sie ganztags als Steuerberaterin arbeitete, geschieden war und keine Kinder hatte. An einsamen Abenden trank sie oft zu viel Rotwein und betäubte das Gefühl des Alleinseins allzu häufig mit wahren Spaghettibergen. Es gab ihrer Meinung nach nichts, was so schön tröstete wie ein warmes, nach Tomaten und Basilikum duftendes Nudelgericht. Leider nahm man damit auch eine Menge Kalorien zu sich.
An ihrem achtunddreißigsten Geburtstag im November des vergangenen Jahres hatte Marina beschlossen, dass sich ihr Leben ändern musste. Sie wollte nicht länger allein sein. Sie wollte wieder einen Mann kennen lernen, wollte mit jemandem leben. Ihrem Aussehen mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, schien ihr eine gute Voraussetzung für einen möglichen Erfolg zu sein. Sie ließ sich die von reichlich grauen Strähnen durchzogenen Haare blond tönen, kaufte sich schicke Sportklamotten und arbeitete eine Jogging-Runde aus, die täglich dreißig Minuten in Anspruch nahm und sie richtig ins Schwitzen brachte. Jetzt, drei Monate später, hatte sie bereits vier Kilo verloren, und sie mutmaßte, dass es hätten mehr sein können, würde sie nicht in den langen Abendstunden noch immer allzu sehr dem Rotwein zusprechen. Ein möglicher Lebensgefährte nämlich – und erst dann, wenn dieser aufgetaucht wäre, könnte sie dem Alkohol endgültig abschwören – war noch nicht in Sicht. Vielleicht wenn der Sommer kam. Marina sagte sich, dass der Sommer geeigneter war, jemanden kennen zu lernen, auch wenn sie nicht wirklich hätte begründen können, weshalb das so sein sollte.
An diesem noch sehr frühen Sonntagmorgen versprach das Wetter strahlend schön zu werden, der Himmel schälte sich blau aus der Dunkelheit, und der Frühling, der bereits am Vortag angebrochen war, begann sich nun zu etablieren. Die Luft roch nach feuchter, frischer Erde. Die Vögel sangen. In den Vorgärten entfalteten sich die Narzissen. Bei einer etwas günstigen Wetterlage hatten sie manchmal hier in England diesen sehr zeitigen Frühling. Einen Wärmeeinbruch Mitte Februar und fast gleichzeitig damit das schlagartige Erwachen der Natur. Frost war auf der Insel nicht allzu häufig, ab März sowieso nicht mehr. Februartage wie dieser, fand Marina, entschädigten für manch verregneten Sommer.
Es hatte Spaß gemacht zu laufen. Keuchend und verschwitzt, bog sie in
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