Die Letzte Spur
er ihr nachwinkte. Sie sah starr geradeaus und fragte sich, was mit ihr passierte und weshalb es geschehen konnte. Aber ehe sie zu einer Antwort gelangte – falls es die überhaupt gab –, klingelte ihr Handy. Es war Nick Simon, und wieder einmal kochte er vor Wut.
Er hatte den Mirror gelesen.
Sie stürmte geradezu in die Hotelhalle und ließ sich am Empfang ihren Zimmerschlüssel aushändigen. Neben der Theke stand ein Regal mit Zeitungen, sie schnappte sich den Mirror , bezahlte ihn mit einem viel zu großen Geldschein und beachtete nicht einmal die Rufe des Portiers, der ihr das üppige Wechselgeld zurückgeben wollte. Im Aufzug nach oben suchte sie den betreffenden Artikel. Pamelas verängstigtes Gesicht blickte ihr entgegen, daneben befand sich der Text, der sie und Marc recht unverhohlen eines Vertuschungsversuchs bezichtigte und ihnen zudem ein intimes Verhältnis unterstellte. Ganz offensichtlich – und durchaus erwartungsgemäß – hatte Tony Harper noch einmal mit Brent Cadwick gesprochen, denn er wusste bereits, dass es sich bei der Fremden nicht um die gesuchte Elaine gehandelt hatte.
»Das darf nicht wahr sein!«, sagte sie laut. Marc hatte recht: Sie mussten jetzt möglichst schnell zur Polizei.
Oben angekommen, lief sie sofort zum Zimmer ihres Bruders und hämmerte gegen die Tür.
»Cedric? Bist du da? Mach bitte auf! Ich bin's, Rosanna! Mach doch bitte auf!«
Sie fürchtete schon, er habe die Nacht wieder irgendwo außerhalb verbracht und sei nun nicht greifbar, aber nach einer Weile, die ihr ewig lang erschien, wurde innen der Schlüssel umgedreht, die Tür geöffnet. Ein verschlafener Cedric, mit nichts als seiner Unterhose bekleidet, stand vor ihr.
»Was ist denn los?«, fragte er. »Was machst du für einen Lärm?«
Sie schob sich an ihm vorbei ins Zimmer, drehte sich dann zu ihm um und drückte ihm die Zeitung in die Hand. »Das ist der Grund. Deshalb mache ich den Lärm. Deshalb muss ich dich sprechen!«
Er schloss die Tür, starrte auf die Zeitung. »Wer ist das?«, fragte er verwirrt.
»Sie heißt Pamela. Pamela Luke. Seit fast fünf Jahren lebt sie jedoch unter dem Namen Elaine Dawson !«
Obwohl er sich augenscheinlich noch im Halbschlaf befand, gelang es Cedric, erstaunlich intelligente Schlüsse zu ziehen. »Die Frau in Northumberland. Sie ist nicht unsere Elaine. Eine zufällige Namensgleichheit. Aber wieso ist sie jetzt in der Zeitung?«
Rosanna spuckte die ganze Wut aus, die Nick Simon fünfzehn Minuten zuvor auf ihr abgeladen hatte. »Ja, wieso ist sie in der Zeitung?«, schrie sie. »Eine gute Frage, Cedric! Wieso tauchte da oben in Northumberland, in diesem absolut gottverlassenen Kaff Langbury, plötzlich im richtigen Moment ein Reporter auf? Von der guten Lee Pearce höchstpersönlich auf unsere Spur gebracht. Seit zwölf Stunden schlage ich mich mit der Frage herum, wie die Pearce von dieser Sache erfahren konnte!«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Cedric.
Sie bohrte ihm ihren Fingernagel in die nackte Brust. Mit einem leisen Schmerzenslaut wich er zurück.
»Weil«, schrie sie, »genau zwei Menschen außer mir und Marc von dem Anruf aus Langbury wussten: Nick Simon, der den Teufel getan hätte, die Story an die Konkurrenz zu verkaufen, und der mir eben bereits telefonisch den Kopf abgerissen hat, und – du. Dir hatte ich es erzählt. Und ich habe jetzt den fürchterlichen Verdacht, dass du tatsächlich die undichte Stelle gewesen bist!«
Dank ihres Geschreis war Cedric nun so weit wach, dass er wieder klar zu denken vermochte.
»Moment mal«, sagte er wütend, »du redest vielleicht einen Unsinn! Du glaubst, ich gehe mit etwas, das du mir erzählst, an die Öffentlichkeit? Du glaubst, ich käme überhaupt auf eine so abartige Idee? Spinnst du?«
»Nun, ich wüsste nicht …«
»Immerhin gibt es ja noch diesen Anrufer aus Langbury. Hast du dir mal überlegt, dass er vielleicht nicht nur dich informiert haben könnte? Sondern munter in der Weltgeschichte herumtelefoniert hat?«
Sie klappte den Mund zu. Schließlich hat sie selbst Mr. Cadwick sofort verdächtigt. Ein Telefonat mit Lee Pearce hätte zweifellos zu seinem Charakter gepasst.
Wesentlich ruhiger als zuvor und ein wenig kleinlaut sagte sie: »Also, du hast mit niemandem darüber gesprochen?«
»Natürlich nicht. Mit wem sollte ich auch …« Er unterbrach sich. Sie sah, dass er eine Schattierung blasser wurde. »Ach, du lieber Himmel«, murmelte er.
Sie zog sofort den richtigen Schluss.
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