Die Letzte Spur
tauchte aus dem Bad auf, geblendet vom Licht. Sie folgte tatsächlich Pits Befehl und trat dicht an ihn heran. Er griff in ihre Haare, riss brutal daran, so dass er ihren Kopf bis hinunter auf die Höhe seiner Armbeuge zog. Er zwang sie, in dieser gekrümmten Haltung zu verharren.
»Hatte ich dir nicht verboten, dir die Haare abschneiden zu lassen?«, fragte er. »Und hatten wir uns nicht geeinigt, dass du immer tust, was ich sage?« Er zerrte erneut an den Haaren. Pamela schrie auf, vor Schmerz schossen ihr die Tränen in die Augen.
Cedric zögerte jetzt nicht mehr. Ihm war von einer Sekunde zur anderen klar geworden, dass sie nichts zu verlieren hatten. Wavers würde sie töten. Alle beide. Ihn, Cedric, wahrscheinlich schneller, Pamela langsamer. Aber am Ende dieser Nacht wären sie beide tot, und sie hatten hier draußen keinerlei Hilfe zu erwarten.
Er machte einen völlig unerwarteten Satz nach vorn und schlug Wavers mit einer einzigen heftigen Bewegung die Waffe aus der Hand. Die Pistole schlitterte ins Bad hinein. Vor Überraschung ließ Wavers Pamela los.
»He!«, schrie er perplex. Cedric stand direkt vor ihm.
»Entweder Sie verschwinden jetzt auf der Stelle«, sagte er, »oder Sie legen sich mit mir an. Aber lassen Sie die Finger von Pamela!«
Anstelle einer Antwort krachte Wavers' Faust in Cedrics Gesicht. Der spürte, wie ihm das Blut als warmer Schwall aus der Nase schoss, ehe er rückwärts zu Boden ging. Der Schmerz war unmenschlich.
Meine Nase ist gebrochen, dachte er, und als Nächstes: Steh auf! Steh sofort auf, ehe er sich die Waffe wieder schnappt!
Irgendwie kam er auf die Beine. Er war wenigstens anderthalb Köpfe größer als Wavers, war muskulös und gut trainiert, aber er gab sich keinen Moment lang der Illusion hin, er wäre dem durchgeknallten Zwerg vor sich überlegen. Wavers war an Schlägereien gewöhnt, er hatte stahlharte Muskeln, verfügte wahrscheinlich über eine ungeheure Wendigkeit und zog eine beinahe übermenschliche Kraft aus seiner auf völlige Rücksichtslosigkeit gegründeten Brutalität. Wavers war es im Zweifelsfall egal, ob er einen Menschen umbrachte oder ihn zum Krüppel schlug. Es gab kein Tabu für ihn.
Pamela hatte ihn als Psychopathen bezeichnet. Cedric begriff, dass sie recht gehabt hatte.
Er holte aus und versetzte Wavers einen Kinnhaken, der diesen rückwärts gegen den Türrahmen taumeln ließ. Ehe Wavers sich besinnen konnte, landete Cedrics Faust erneut in seinem Gesicht. Im nächsten Moment hatte sich Wavers jedoch zur Seite weggeduckt und schoss plötzlich aus einem anderen Winkel nach vorn. Er boxte Cedric so heftig in den Magen, dass diesem die Luft wegblieb. Sekundenlang wurde ihm schwarz vor Augen. Er krümmte sich, fühlte gleich darauf einen stechenden Schmerz in seiner rechten Seite. Wavers' Stiefelspitze hatte ihn in die Rippen getroffen. Entsetzt erkannte Cedric, dass er diesen Kampf verlieren würde. Er hatte nicht den Fehler begangen, Wavers zu unterschätzen, aber es hatte dennoch jenseits seines Vorstellungsvermögens gelegen, dass jemand so stark sein konnte. Er versuchte eine Gegenwehr, traf den anderen in den Unterleib – eine Tabuzone, aber Cedric hatte bereits kapiert, dass die Ehrenregeln, die er einmal irgendwann in der Schule gelernt hatte, hier nicht angebracht waren –, und tatsächlich jaulte Wavers auf, war für Sekunden außer Gefecht. Cedric richtete sich keuchend auf, wischte sich mit dem Unterarm übers Gesicht, sah, dass der Ärmel seines Pullovers troff von Blut. Wavers lag zu seinen Füßen, zusammengerollt wie ein Embryo, und winselte leise. Eine innere Stimme sagte Cedric, dass dies der Moment war, den anderen mit einem gezielten Fußtritt gegen den Kopf in vorübergehende Bewusstlosigkeit zu versetzen, aber er brauchte zu lange, die Hemmschwelle zu überwinden, die es ihm trotz allem noch verbot, einen wehrlos am Boden liegenden Gegner zu attackieren. Es waren nur Sekunden, in denen er mit sich rang, aber die reichten für Wavers. Sein Arm schoss urplötzlich nach vorn, seine Hände umklammerten Cedrics rechtes Bein, zogen mit einem einzigen, scharfen Ruck daran. Cedric verlor sofort sein ohnehin mühsam gewahrtes Gleichgewicht und stürzte nach hinten. Er spürte, dass sein Kopf gegen etwas Hartes schlug, und während ihm die Sinne schwanden, dachte er: Scheiße. Das war's.
Er wusste nicht, wie lange er so gelegen hatte, aber als er die Augen wieder aufschlug, sah er Wavers, der vor der Haustür stand. Reglos.
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