Die Letzte Spur
plötzlich zwischen ihnen stand, war zu groß. Sie musste überhaupt nichts mehr sagen.
Sie trafen sich in der Mitte des Zimmers und schlangen im selben Moment die Arme umeinander. Für eine Sekunde hatte diese Umarmung etwas von einem Festklammern in Verzweiflung, von der Suche nach Schutz und Trost, aber kaum dass sich ihre Körper berührten, war es nichts mehr von all dem, sondern nur noch eine Explosion, in der sich alle anderen Gefühle in ihrer seit Tagen schon verdrängten und verzweifelt ignorierten sexuellen Sehnsucht nacheinander auflösten.
Sie konnten beide nicht länger widerstehen, auch wenn Rosanna, der trotz allem noch einmal sowohl Dennis als auch das ihm gegenüber geleistete Ehegelöbnis durch den Kopf schössen, einen letzten schwachen Versuch unternahm, das Unvermeidbare abzuwenden.
»Das Auto«, flüsterte sie, »es kann so nicht stehen bleiben …«
»Scheiß auf das Auto«, sagte Marc rau.
Seine Haut roch nach dem Shampoo, mit dem er vor kurzem geduscht hatte. Sein Atem nach dem Wein, den sie beide getrunken hatten.
Später würde sie sich immer an diese Mischung erinnern. An ein Shampoo, das sie nicht kannte. An einen Wein, der ihr eigentlich nicht besonders geschmeckt, von dem sie jedoch eine Menge zu sich genommen hatte. An das Licht der Straßenlaternen vor dem Fenster. Und daran, wie kratzig sich der Teppichboden anfühlte. Er war billig und zweckmäßig, wie alles in dieser Wohnung. Spartanisch, wie Marc Reeves ganzes Leben.
Sie überlegte, ob ihn seine Traurigkeit wohl verließ, während er mit ihr schlief, aber sein Gesicht verriet nichts darüber, und sie wagte nicht, ihn danach zu fragen.
Donnerstag, 21. Februar
1
Der Zauber verlor sich nicht am nächsten Morgen, obwohl der Tag grau und neblig erwachte und ohne eine Spur der Sonne, an die man sich schon gewöhnt und die man als dauerhaften Sieg des Frühlings über den Winter empfunden hatte. Plötzlich schien der November zurückgekehrt. Die noch kahlen Bäume fielen wieder auf, die Farblosigkeit der Stadt. Der Nebel dämpfte alle Geräusche. Jeder Blick aus dem Fenster ließ frösteln. Es würde nass und kalt draußen sein, und in den U-Bahnen und Bussen würde es von Erkältungsviren wimmeln.
Rosanna und Marc hatten den Wohnzimmerfußboden irgendwann in der Nacht verlassen und sich in Marcs Bett eng aneinandergekuschelt, sie hatten einander immer wieder geliebt, dazwischen geredet, geschlafen, und einmal hatte Rosanna geweint, ohne genau zu wissen, weshalb. Marc hatte keine Fragen gestellt. Er schien zu wissen, dass sie selbst keine Worte fand für die Spannung in sich.
Sie standen um halb sieben auf, weil Marc einen Gerichtstermin hatte. Rosanna entdeckte ein paar Muffins, die noch von dem Frühstück mit Pamela stammten, im Eisfach des Kühlschranks.
Marc nahm zwei heraus und schob sie in die Mikrowelle, ließ zwei Tassen Kaffee durch seine Maschine laufen.
»Wie ungewohnt«, sagte er, »Frühstück für zwei. Das hatte ich lang nicht mehr.«
»Du hattest nie eine Frau hier über Nacht, seitdem du geschieden bist?«
Er lächelte. »Hier in dieser Wohnung tatsächlich nicht.
Im ersten halben Jahr nach der Trennung gab es ein paar Frauen, aber das war noch im alten Haus. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf One-Night-Stands. Letztlich fühlt man sich danach leerer, als wenn man gleich allein bliebe. Mir geht es jedenfalls so.«
Sie rührte langsam in ihrer Tasse. »Und wie empfindest du das, was zwischen uns war?«
»Ich hoffe«, sagte Marc ernst, »dass die letzte Nacht nicht alles war.«
»Ich muss heute eigentlich nach Taunton.«
»Und wenn du wartest bis morgen? Heute komme ich nicht aus meinen Terminen heraus, aber morgen bin ich ab fünf Uhr frei. Ich könnte mitkommen, wenn du das möchtest.«
»Nach Kingston St. Mary?« »Hättest du etwas dagegen?« »Mein Vater …« »Er wäre schockiert?«
»Er hat keine Ahnung, dass es zwischen mir und Dennis nicht mehr stimmt. Ich muss ihm das langsam beibringen. Er ist erst seit wenigen Monaten Witwer und fängt gerade an, diesen Verlust zu verarbeiten. Und da komme ich und erkläre ihm, dass meine Ehe gescheitert ist!« Sie sah Marc unglücklich an. »Es wird ihn sehr treffen. Mein Vater hat … sehr konservative Wertvorstellungen.«
»Ich verstehe«, sagte Marc. Er lehnte mit dem Rücken an einem Küchenschrank, Rosanna hatte sich ihm gegenüber auf die Theke geschwungen. Es war, wie sie vermutet hatte: Marc frühstückte im Stehen in
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