Die Letzte Spur
den Gedanken aufkommen zu lassen, sie könnte selbst in irgendeiner Weise verstrickt sein. Denn immerhin hätte sie ein Motiv gehabt, Elaine beiseitezuschaffen: Sie brauchte dringend deren Ausweispapiere. Und jetzt sitzt sie wirklich in der Tinte.«
»Wie siehst du die Sache? Glaubst du ihr?«
Er zögerte. »Irgendwie – ja«, sagte er dann. »Ich kann es nicht genau begründen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie mich belügt. Natürlich kann ich mich furchtbar täuschen. Eine Frau, die fünf Jahre lang unter falscher Identität lebt, ist es gewohnt, ihrer Umwelt etwas vorzuspielen. Vielleicht ist sie ein ganz abgefeimtes Stück. Ich weiß es nicht.«
»Sie wirkte auf mich wie ein Opfer. Absolut nicht wie ein Täter.«
»Immerhin kann sie auch richtig gut schießen. Das hat sie mir inzwischen auch gestanden. Ihr Bruder hat es ihr beigebracht, als sie ein Teenager war. Dass sie Wavers so glatt erledigt hat, war alles andere als ein glücklicher Zufall oder die Hand Gottes. Der Schuss saß, weil sie es verdammt gut kann.«
»Und Wavers besaß eine Waffe, die ihr womöglich zugänglich war.«
»Ja«, sagte Cedric, »so kann es gewesen sein. Oder ganz anders.«
Rosanna sagte drängend: »Cedric, wie auch immer, sie muss zur Polizei. Sie kann sich nicht bei euch verstecken. Das kannst du Dad nicht antun. Es geht ihm überhaupt nicht gut damit, und wir dürfen ihn in all das nicht mit hineinziehen.«
»Ich weiß«, sagte Cedric, »und ich tue mein Bestes, sie zu überzeugen, das kannst du mir glauben.«
Sie schwiegen beide einen Moment. Ich wollte, es wäre vorbei, dachte Rosanna, einfach endlich vorbei, und wir alle hätten Gewissheit darüber, was geschehen ist.
Sie hörte einen Schlüssel an der Wohnungstür. Marc! Er würde überrascht sein, sie anzutreffen. Noch immer hatte sie nicht entschieden, ob sie ihm von ihrem Besuch bei seiner Exfrau erzählen sollte.
»Ich muss Schluss machen«, sagte sie, »Marc kommt gerade.«
»Du bist bei Marc Reeve?«, fragte ihr Bruder.
»Ja«, entgegnete sie einfach und legte den Hörer auf.
Cedrics Meinung zu diesem Thema wollte sie jedenfalls nicht hören. Sie hatte genug um die Ohren. Schon allein deshalb, weil sie das unangenehme Gefühl nicht loswurde, irgendetwas übersehen zu haben, das sich aus dem Gespräch mit Cedric hätte ergeben müssen. Da war etwas gewesen, wo sie gedanklich hätte einhaken müssen.
Sie kam nur beim besten Willen nicht darauf, worum es sich dabei gehandelt hatte.
6
In der Nacht konnte Rosanna keinen Schlaf finden. Zu viele Probleme bedrängten sie, zu viele Gedanken geisterten in ihrem Kopf umher. Am späten Abend hatte sie auf ihrem Handy entdeckt, dass Dennis zweimal versucht hatte, sie zu erreichen, aber sie war zu feige, ihn zurückzurufen. Er wähnte sie in Kingston St. Mary. Was sollte sie ihm erklären, weshalb sie sich noch immer in London aufhielt?
Marc war ebenso überrascht wie erfreut gewesen, sie in seiner Wohnung anzutreffen.
»He«, hatte er leise gesagt und sie an sich gezogen, »was ist passiert? Weshalb bist du nicht zu deinem Bruder gefahren?«
»Ich mochte nicht fort von hier«, hatte sie nur geantwortet, und daraufhin waren sie sofort im Schlafzimmer gelandet und hatten zwei Stunden im Bett verbracht, und sie hatte das Läuten ihres Handys ignoriert und damit ihrem Mann keine Möglichkeit gegeben, sie zu erreichen. Später hatten sie sich in Bademäntel gehüllt und aus den Vorräten, die Rosanna gekauft hatte, ein Abendessen gekocht, Kerzen angezündet und eine Flasche Wein aufgemacht, die Marc aus dem Keller holte. Draußen blieben Dunkelheit und Nebel, und die kleine, triste Wohnung wurde mit einem Mal zu einem Ort der Wärme und Behaglichkeit, der Romantik und des Zusammengehörigkeitsgefühls. Beim Essen erzählte Rosanna von Cedrics Anruf und von Pamelas Aussage.
Marc hörte aufmerksam zu.
»Das ist ja ein Ding!«, sagte er, als sie geendet hatte. »Hältst du es für wahrscheinlich, was sie sagt?«
Rosanna zuckte die Schultern. »Schwer zu beurteilen. Ich kenne Pamela ja praktisch nicht, ich habe sie ja auch nur ziemlich kurz erlebt. Cedric, der nun schon mehr Zeit mit ihr verbracht hat, ist geneigt, ihr zu glauben. Aber sicher kann er natürlich auch nicht sein.«
»Wenn es stimmt, was sie sagt, dann ist alles wieder so rätselhaft wie zuvor«, meinte Marc. Frustriert verzog er das Gesicht. »Ich bin dann eigentlich auch wieder im Rennen um einen Platz als Tatverdächtiger!«
»Ich
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