Die Letzte Spur
Dawson hat ihm wirklich leidgetan. Er zeigte oft eine sehr spontane Hilfsbereitschaft. Ich weiß noch, wie beliebt er in unserem Yachtclub war, jedenfalls solange wir dort noch die meisten Wochenenden verbrachten. Später fehlte ihm ja auch dazu die Zeit. Aber er packte immer an, wo Not am Mann war, und spürte auch, wenn er gebraucht wurde.«
»So empfinde ich ihn auch.«
»Na, dann steht einem gemeinsamen Glück ja nichts mehr im Weg«, bemerkte Jacqueline, aber diesmal meinte Rosanna doch, etwas Bosheit in ihren Worten zu spüren.
Sie traten hinaus. Der Nebel schlug ihnen wie ein nasser, schwerer Waschlappen entgegen.
»Im Sonnenschein ist es hier sicher recht malerisch«, meinte Rosanna.
»Sehr«, bestätigte Jacqueline. »Trotzdem ist und bleibt es ein etwas spießiges Dorf. Aber ich habe hier und in der Umgebung recht viele Bekannte, und das macht alles leichter. «
Die beiden Frauen reichten einander die Hand. Rosanna machte nur ein paar Schritte, dann verschluckte sie bereits der Nebel. Man sah nicht mal wenige Meter weit.
Wie damals, dachte sie plötzlich und fröstelte, wie an jenem Januarabend. Als kein Flugzeug mehr ging. Als Elaine plötzlich in Heathrow festsaß. Werden wir je wirklich wissen, was geschehen ist?
Wann und wo war Elaine ihrem Mörder begegnet?
Und hieß er wirklich Pit Wavers?
5
Der Nebel lastete bis zum Abend über London. Die Dämmerung kam, der Tag verging, ohne dass sich das bleierne Grau jenseits der Fenster bewegt hätte. Rosanna hatte in einem Burger King etwas gegessen und drei Tassen Kaffee getrunken, um sich ein wenig lebendiger zu fühlen, dann hatte sie ein paar Sachen für ein Abendessen gekauft und war am frühen Nachmittag in Marcs Wohnung zurückgekehrt. Sie fühlte sich niedergeschlagen. Sie wünschte, sie wäre nie nach Binfield Heath gefahren.
Gegen vier Uhr rief sie bei ihrem Vater in Kingston St. Mary an. Victor meldete sich sofort. Seine Stimme klang bedrückt.
»Gut, dass du anrufst«, sagte er, »wann kommst du?« »Bald, Dad. Ich … habe hier noch etwas zu erledigen. Wie geht es Cedric?«
»Den Umständen entsprechend recht gut, würde ich sagen. Ich habe ihn heute Mittag aus dem Krankenhaus abgeholt. Er hat noch große Schmerzen, aber er bekommt Medikamente dagegen. Wird schon werden.«
»Dad – was ist los? Du klingst nicht gut!«
Victor schien mit sich zu ringen. »Diese Pamela Luke ist hier«, sagte er schließlich.
Rosanna schnappte nach Luft. »Pamela Luke? Scotland Yard sucht nach ihr!«
»Ich weiß. Sie ist oben bei Cedric, und er versucht sie zu überreden, sich zu stellen. Sie ist gestern Abend bei ihm im Krankenhaus aufgetaucht. Sie sieht aus wie eine Landstreicherin und steht völlig neben sich. Ich muss sagen, ich bin über diese ganze Entwicklung nicht glücklich.«
Das konnte sich Rosanna nur zu gut vorstellen. Ihr armer Vater! Gesetzestreu und immer korrekt – das äußerste Vergehen, das er sich in seinem bisherigen Leben geleistet hatte, waren zwei oder drei Strafzettel wegen falschen Parkens gewesen. Und nun versteckte sich eine dubiose junge Frau in seinem Haus, hinter der die Polizei her war und die womöglich mit skrupellosen Verbrechern gemeinsame Sache gemacht hatte. Zwei Nächte zuvor hatte sie einen Mann erschossen, und sein eigener Sohn war zusammengeschlagen worden und hatte nun vier gebrochene Rippen. Victor Jones musste das Gefühl haben, in einem Albtraum gelandet zu sein.
»Kannst du mich mit Cedric verbinden?«, fragte Rosanna.
»Einen Moment bitte«, erwiderte Victor in seiner manchmal so förmlichen Art und drückte ein paar Tasten.
Zwei Minuten später meldete sich Cedric. »Rosanna?«
»Cedric! Was ist los? Wieso ist Pamela weggelaufen? Kannst du offen reden?«
Cedric seufzte. »Sie ist drüben in deinem Zimmer und hat sich hingelegt«, sagte er. »Es geht ihr psychisch sehr schlecht. Sie hat sich in einen ganz schönen Schlamassel hineingeritten, indem sie am Anfang gelogen hat. Es stimmt nicht, dass sie Elaines Pass in Ron Malikowskis Schlafzimmer gefunden hat. Sie ist dort nie gewesen, und das weiß die Polizei inzwischen auch.«
»Aber … woher hat sie ihn dann? Ich meine … hat sie etwas mit Elaines Verschwinden zu tun?«
»Sie behauptet nein. Wobei es ein wenig schwierig sein wird, dies nun glaubhaft zu machen, nachdem sie zunächst herumgeschwindelt hat.«
»Aber wo …?«
»Sie sagt, sie hat den Ausweis gefunden. Im Januar 2003. Offenbar unmittelbar nachdem Elaine
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