Die Letzte Spur
dass der andere über dem Zuhören allzu depressiv wurde. Man merkte immer, dass sie Mitleid hatten und sich im Grunde weit fort sehnten. Wie er diese Situation hasste! Letztlich war es wirklich besser, keinen Besuch zu bekommen.
»Wenn ich das richtig verstehe, arbeitest du bei einem Fotografen?«, fragte er höflich. Nicht, dass es ihn interessierte …
Cedric nickte. »Ich habe eine Ausbildung gemacht, ja. Ich hoffe, dass ich irgendwann mein eigenes Studio eröffnen kann.«
»Ehe? Kinder?«
»Affären. Die richtige Frau war noch nicht dabei«, sagte Cedric. In einem Anflug von Selbstkritik fügte er hinzu: »Das liegt wahrscheinlich an mir. Ich bin achtunddreißig, da hätte ich in dieser Hinsicht schon mehr auf die Beine stellen müssen. Wahrscheinlich mache ich irgendetwas falsch. Es gibt ja viele Gründe, weshalb es zwischen einem Mann und einer Frau nicht funktioniert.«
»O ja«, erwiderte Geoff bissig, »die gibt es. Ein Grund kann zum Beispiel darin bestehen, dass ein Mann nicht alleine laufen, scheißen, pinkeln oder gar vögeln kann. Ich sage euch, das schränkt die Auswahl an möglichen Partnerinnen gewaltig ein!«
Rosanna und Cedric machten betroffene Gesichter, und eine Sekunde lang freute er sich daran. Manchmal machte es ihm Spaß, seine Umwelt zu schockieren, gerade Typen wie die Jones-Geschwister, die so unverschämt begünstigt waren vom Schicksal. Aber aus Erfahrung wusste er, dass der kleine Triumph nur sehr kurz anhielt. Sowieso war es kein echter Triumph, denn die Dinge blieben, wie sie waren: Die anderen blieben gesund und stark, er blieb krank und schwach.
Während Cedric an seinem Kuchen herumbröselte und dabei verstohlen auf seine Armbanduhr schielte, straffte Rosanna die Schultern und nahm eine Haltung an, die Geoff irgendwie als … offensiv empfand. Sie hatte etwas Konkretes auf dem Herzen. Wahrscheinlich etwas Unangenehmes, aber wenigstens würde das vielleicht dem zähen Smalltalk ein Ende bereiten.
»Geoffrey, weshalb ich in England bin, abgesehen vom Geburtstag meines Vaters natürlich, hat einen besonderen Grund«, sagte sie, »und ich würde gern kurz mit dir darüber sprechen …«
»Ja?«
Sie zögerte. »Es geht um Elaine«, sagte sie schließlich.
Er atmete tief. Er hatte doch gewusst, dass nun etwas Unangenehmes kam. »Um Elaine?«
»Genau genommen um eine Serie, die ich für Cover schreiben soll. Du weißt, dieses …«
»Ich weiß. Dieses ziemlich schrille Boulevard-Magazin, für das du früher mal gearbeitet hast.«
Er kannte sie als Kratzbürste, wenn sie sich provoziert fühlte. Normalerweise hätte sie sich gegen eine abwertende Äußerung gewehrt. Aber mit ihm wollte sie nicht streiten. Die Menschen wurden so schrecklich anständig gegenüber Krüppeln.
»Ich soll eine Serie über spurlos verschwundene Menschen schreiben. Und mit Elaine beginnen.«
»Aha.« Er hätte sich ohrfeigen können, aber das Thema löste Reaktionen in ihm aus. Beschleunigter Herzschlag, trockener Mund, Schweißausbruch in den Handflächen. Immer noch. Nach fünf Jahren.
»Nick – der Chefredakteur – hat mich wohl ausgewählt wegen meiner persönlichen Bekanntschaft mit Elaine. Ich … würde den Auftrag gern annehmen.«
»Klar. Dazu brauchst du wohl kaum meine Erlaubnis.«
»Nein. Aber du könntest dich weigern, mit mir über Elaine zu sprechen. Und ich würde das auch verstehen.«
»Würdest du das? Was willst du denn eigentlich schreiben? Alles, was man weiß, ist gesagt worden. Es gibt keine neuen Erkenntnisse. Wozu dieser Artikel?«
»Er soll einfach die Ereignisse von damals noch einmal zusammenfassen. Das, was passiert ist an jenem Abend in Heathrow. Er soll die Nachforschungen der Polizei beleuchten. Ein bisschen über Elaine berichten, über den Menschen, der sie war. Es ist einfach ein …« Sie hob etwas hilflos die Schultern. »Es ist einfach ein Bericht über ein mysteriöses Ereignis, dessen Hintergründe nie geklärt wurden.«
»Und an dem sich die Menschen gern aufgeilen, ich weiß!« Geoff schob seinen fast unberührten Kuchenteller weg. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, dass Cedric sich vor Unbehagen geradezu wand. Auch Rosanna wirkte nicht mehr so selbstbewusst wie sonst. Geschah den beiden ganz recht.
»Weißt du«, sagte er, »ich rede mit dir über Elaine. Ich rede auch über diese hirnverbrannte Idee von dir, sie zu deiner Hochzeit einzuladen. Ich rede auch mit dir über das beschissene Leben, das ich jetzt führe, denn das Schicksal des
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