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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Die hab ich ewig nich mehr gesehen.«
    Das hatte Angela daheim erzählt, ohne zunächst allzu große Aufregung damit auszulösen.
    »Dann ist sie eben bei einem anderen Kerl«, hatte ihr Vater gebrummt. »Die hat doch immer mit irgendeinem was laufen. Ohne einen Typen, der sie anhimmelt, kann die doch gar nicht!«
    Jetzt war es Montag früh, und beim Aufwachen hatte Angela gleich hinüber zu dem anderen Bett gespäht, in der vagen Hoffnung, Linda sei vielleicht doch irgendwann in der Nacht zurückgekehrt, und sie werde die neuerdings in schimmerndem Platinblond gefärbten langen Haare auf dem Kopfkissen sehen. Aber das Bett war leer, und allmählich kam das Angela seltsam vor. Sie hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl.
    Sie stand auf und trat in den engen Flur hinaus. Sally, ihre Mutter, verquollen vom Bier des Vorabends, mühte sich gerade damit ab, ihre Söhne aus den Betten zu jagen und zu überreden, in die Schule zu gehen. Ihr Vater, Gordon, saß am Tisch in der Küche und las die Zeitung. Angela setzte sich neben ihn.
    »Linda ist immer noch nicht da«, sagte sie.
    Ihr Vater blickte nicht auf. »Na und? Dann wird sie irgendwo vielleicht mal nachdenken, wie man sich anständig anzieht. Kann ihr nur guttun.«
    »Aber wo hält sie sich die ganze Zeit über auf? Es ist kalt draußen. Sie kann ja nicht in den Parks herumhängen.«
    »Ich hab's doch gestern schon gesagt. Die ist bei einem Kerl. Inzwischen hat sie ja bald mit so ziemlich jedem Mann in London geschlafen, da wird sich wohl einer finden, der sie bei sich wohnen lässt.«
    Sally kam in die Küche und ließ sich ächzend auf einen alten Barhocker fallen, der in der Ecke stand. Sie zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief.
    »Wenn ich die durch die Schule hab«, sagte sie, wobei sie mit die ihre drei Söhne meinte, »dann zünde ich in der Kirche eine Kerze an. Das schwöre ich.«
    Ihr Mann lachte, aber Sally ließ sich nicht beirren. »Doch. Das tu ich. Die kosten mich den letzten Nerv.«
    Aus dem Badezimmer war wüstes Gebrüll zu hören. Die Jungen schienen sich um den Vortritt in die Dusche zu prügeln.
    Sally sah sich um. »Wo ist Linda?«
    »Das versuche ich ja gerade mit Dad zu besprechen«, sagte Angela, »sie ist immer noch nicht nach Hause gekommen. Ich finde das langsam sehr merkwürdig.«
    »Ich finde das auch merkwürdig«, meinte Sally, »die dritte Nacht! Mein Gott! Das hätte ich mir früher mal erlauben sollen! Mit sechzehn!«
    »Du hast sie ja immer total verwöhnt!«, brummte ihr Mann. »Die durfte doch alles. Kein Wunder, dass dabei ein erstklassiges Flittchen herausgekommen ist.«
    »Meine Tochter ist kein Flittchen!«
    »Ach nein? Hast du sie dir mal genau angeschaut in der letzten Zeit? Wie die rumläuft? Die ist nicht mehr dein kleines Mädchen!«
    »Sie ist sechzehn! Was erwartest du denn?«
    »Ein bisschen Anstand! Benehmen! Wenigstens ihren Eltern gegenüber! Was ist denn das für eine Art, einfach wegzulaufen und nächtelang nicht heimzukommen!«
    »Du hast gesagt, du willst sie hier nicht mehr sehen«, sagte Angela.
    Ihr Vater ließ endlich die Zeitung sinken. »Ich hab gesagt, ich will sie in dieser Aufmachung hier nicht mehr sehen! Wenn sie sich normal anzieht und sich nicht mit Schminke zukleistert, kann sie wieder herkommen!«
    »Habt ihr eigentlich bemerkt, dass ihre Klamotten ziemlich teuer sind?«, fragte Angela. Ihre Eltern starrten sie an. »Teuer?«, fragte Sally zurück.
    »Das ist doch weniger als nichts, was sie anzieht«, meinte der Vater, »wie kann denn das teuer sein?«
    »Es sind teure Stoffe. Aus teuren Geschäften. Ich frage mich, wie sie die alle bezahlt hat.«
    »Also, wenn sich herausstellt, dass sie klaut…«, setzte Gordon mit drohender Miene an, aber Sally fuhr sofort dazwischen: »Das tut sie nicht! Meine Kinder klauen nicht!«
    »Ach nein? Deswegen hatten wir auch neulich erst die Polizei im Haus, als dein Sohn…«
    »Er ist verführt worden. Er hat die falschen Freunde. Von allein … Himmel, jetzt brauche ich erst mal einen Schnaps!« Sally nutzte die Gelegenheit, sich den ersten Alkohol des Tages einzuverleiben.
    »Vielleicht hat Linda neuerdings einen Typen mit Kohle aufgetan«, meinte Gordon, »und der schenkt ihr die feinen Sachen. Das zeigt, dass sie wenigstens ein bisschen Verstand hat. Ihr letzter war ja der größte Versager von ganz Islington. Wäre ja der Wahnsinn gewesen, mit dem zusammenzubleiben.«
    Der Geruch von Alkohol durchzog die Küche. Sally hatte sich ordentlich

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