Die Letzte Spur
so weh.
Marina setzte sich auf ihren Stuhl. Sie stützte das Gesicht in die Hände und begann zu weinen.
Marc war irritiert, als Rosanna am frühen Nachmittag in sein Büro gestürzt kam. Er hatte arglos den Türöffner betätigt und war dann in die Diele getreten, um den Besucher in Empfang zu nehmen, und sah sich plötzlich der Frau gegenüber, von der er geglaubt hatte, sie liege daheim im Bett und kuriere ihre beginnende Grippe.
»Hallo«, sagte er, »du sollst doch nicht draußen herumlaufen!« Dann bemerkte er ihre geröteten Wangen und ihre seltsam glühenden Augen, ihre Atemlosigkeit und Aufgeregtheit.
»Was ist denn passiert?«, fragte er.
Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Ich muss dir etwas erzählen«, stieß sie hervor.
Er zog einen zweiten Stuhl heran, setzte sich ihr gegenüber, nahm ihre Hände in seine. »Ich glaube, du hast Fieber«, stellte er fest.
»Keine Ahnung. Kann sein. Marc, ich habe etwas Unglaubliches herausgefunden.«
»Beruhige dich doch erst einmal. Warum rennst du überhaupt in der Gegend herum?«
Sie entzog ihm ihre Hände, kramte hektisch in ihrer Handtasche, zog einen Zettel hervor, auf den sie irgendetwas Unlesbares in ihrer krakeligen Handschrift notiert hatte.
»Die Heaven's Gate hat am n. Januar 2003 morgens um acht Uhr die Mapledurham-Schleuse von Purley-on-Thames passiert. Am 11. Januar! Morgens! In der ersten Dämmerung!«
Er starrte sie völlig verständnislos an. Sie war so aufgeregt, dass es ihr schwerfiel, eine logische Reihenfolge in ihre Schilderung zu bringen.
»Ich habe mit dem Schleusenwärter gesprochen. Und er hat in seinen Aufzeichnungen nachgesehen. Einen Tag, nachdem Elaine verschwunden war, ist das Schiff deiner Exfrau an einem frühen Wintermorgen die Themse entlanggetuckert. Durch den Nebel. Weißt du, was das bedeutet?«
Er war noch immer perplex. »Nein. Was denn? Und wieso … ?«
»Der Pass. Elaines Pass! Er wurde doch in Wiltonfield gefunden. Ganz nah am Yachtclub. Dann dieser seltsame Ausflug zu einer völlig unwirtlichen Zeit. Oder fuhr Jacqueline öfter im Winter frühmorgens im ersten Dämmerlicht auf den Fluss hinaus?«
»Nein. Ich glaube, kein Mensch würde das tun. Aber …«
»Und weißt du, was ich noch herausgefunden habe? Unmittelbar danach hat sie das Schiff verkauft. An jemanden aus dem Club. Sie besitzt die Heaven's Gate nicht mehr!«
»Das wusste ich gar nicht«, sagte Marc überrascht. Ganz allmählich dämmerte ihm, was Rosanna da sagte und worauf sie hinauswollte.
Er wurde blass. »Du willst doch nicht behaupten …?«
Sie merkte, wie sehr sie ihn überfahren hatte und wie entsetzt er reagierte, und begriff, dass sie ihm eine solche Ungeheuerlichkeit schonender hätte beibringen müssen. Für einen Moment legte sie ihre eiskalten Hände an ihre heißen Wangen, als könne sie damit ihre innere Aufregung kühlen.
»Ich weiß es nicht, Marc. Ich weiß nicht, was geschehen ist, und ich will nicht mit Behauptungen um mich werfen, die andere Menschen in größte Schwierigkeiten bringen können, aber wie ich es auch drehe und wende, ich kann mir das alles nicht als reinen Zufall erklären. Ich könnte mir denken, dass Jacqueline etwas mit Elaines Verschwinden zu tun hat, wobei mir natürlich jede Menge Teile in der Geschichte fehlen und auch Ungereimtheiten zurückbleiben, aber …«
Er unterbrach sie. »Das Motiv, Rosanna. Ich sehe nicht das Motiv. Welchen Grund sollte Jacqueline denn gehabt haben, Elaine verschwinden zu lassen , um es vorsichtig zu umschreiben? Woher hätte sie sie überhaupt kennen sollen?«
Sie blickte an ihm vorbei zum Fenster, wollte ihm nicht in die Augen sehen, während sie ihm gestand, wie tief sie ohne sein Wissen in seinem Leben herumgestochert hatte. »Ich habe sie aufgesucht, Marc. Gestern. Ich war in Binfield Heath, in ihrem Atelier. Ich habe eineinhalb Stunden mit ihr geredet.«
»Das darf doch nicht wahr sein!«
»Doch. Und die ganze Zeit über hatte sie eigentlich nur ein einziges Thema: deine Untreue. Dein Fremdgehen. Die Tatsache, dass du sie – ihrer Ansicht nach – während eurer Ehe praktisch ununterbrochen betrogen hast. Sie ist bis heute davon überzeugt, dass es wirklich so gewesen ist.«
Er stand auf. Sie konnte spüren, wie er sich mühte, seinen aufkeimenden Ärger zu kontrollieren.
»Mein Gott«, murmelte er.
Sie erhob sich ebenfalls. »Das Motiv, Marc, das Motiv könnte darin begründet liegen. In ihrer Eifersucht. Du hast mir erzählt, dass sie krank ist.
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