Die Letzte Spur
Dass sie sich Dinge eingebildet hat, die nicht stimmten. Dass ihr deswegen ständig Ärger und Streit hattet. Dass sie mit Gegenständen um sich warf, Sachen zerstörte, wenn sie wieder einmal überzeugt war, du habest eine Affäre. Schließlich ist sie gegangen, aber bist du sicher, dass ihr Wahn deshalb endete? Vielleicht kochten Wut, Verzweiflung und das Gefühl, betrogen und damit zurückgewiesen worden zu sein, noch Monate danach in ihr. Jahre vielleicht.«
»Aber wie …«
»Es läuft auf eine einzige Frage hinaus, Marc. Kann sie euch gesehen haben? Dich und Elaine, an jenem Januarabend, als du sie mit in dein Haus nahmst? Kann sie euch gesehen und die falschen Schlüsse daraus gezogen haben?«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist doch absurd«, erklärte er.
Aber er klang nicht vollkommen überzeugt.
»Deine ganze … Theorie hängt doch davon ab, ob Pamela Luke die Wahrheit sagt, was den Fundort von Elaines Reisepass betrifft«, sagte Marc. »Und obwohl sie uns und der Polizei zunächst eine völlig andere Version angeboten hat, bist du offenbar bereit, ihr nun unbesehen zu glauben. Das halte ich für etwas gewagt.«
Er sprach mit gedämpfter Stimme, obwohl ringsum ein äußerst hoher Lärmpegel herrschte. Sie hatten das Büro verlassen, nachdem Marc plötzlich gesagt hatte, er müsse raus.
»Ich werde verrückt hier drin. Lass uns gehen.«
Sie waren in einem Cafe zwei Straßen weiter gelandet, das sich nun, je weiter der Freitagnachmittag fortschritt, immer mehr füllte. Hausfrauen, Geschäftsleute, Studenten saßen an den kleinen Bistrotischen, tranken Cappuccino oder Milchshakes und erfüllten den Raum mit lautem Gelächter, heftigen Diskussionen und fröhlichem Geplauder. Marc und Rosanna hatten sich einen Tisch in der Ecke ergattert, Mineralwasser und Espresso bestellt und sich dann vorsichtig umgesehen, um herauszufinden, ob ihnen irgendjemand allzu interessiert zuhörte. Ein derart belebter Ort war nicht die ideale Kulisse für das Gespräch, das sie führten, aber Rosanna verstand, dass Marc die Stille seines Büros nicht ausgehalten hatte, und in der Stille seiner Wohnung wäre es nicht besser gewesen. Rosanna stellte jedoch rasch fest, dass sie sich keine Sorgen machen mussten: Niemand achtete auf sie.
»Wenn wir annehmen, dass Pamela diesmal ebenfalls nicht die Wahrheit sagt«, griff sie Marcs Einwand auf, »dann müssen wir davon ausgehen, dass sie zufällig genau den Ort für ihre Geschichte gewählt hat, in dem der Yachtclub, zu dem Jacqueline gehörte, ansässig ist. Denn davon kann sie nichts wissen.«
»Ein solcher Zufall wäre aber möglich. Die Gegend dort ist allseits beliebt für Ausflüge. Sicher war sie wirklich schon einmal an diesem Parkplatz – sie wusste ja auch, dass sich dort diese Altkleidercontainer befinden. Nachdem ihre erste Behauptung, das Papier bei diesem Zuhälter Malikowski gefunden zu haben, offenbar nicht länger zu halten war, hat sie sich etwas anderes überlegt. Dabei fiel ihr Wiltonfield ein – weil sie die Gegend kennt und nicht noch einmal den Fehler begehen wollte, sich durch falsche Beschreibungen der Örtlichkeiten zu verraten.«
»Okay. Lassen wir diesen Zufall noch gelten, aber findest du es nicht seltsam, dass Jacqueline in den frühen Morgenstunden des 11. Januar auf die Themse hinausschippert? An einem nebligen, kalten Wintermorgen? Der Schleusenwärter hat mir bestimmt nichts Falsches erzählt. Kannst du dir dafür eine Erklärung vorstellen?«
Er rührte in seinem Espresso. Seine Stirn war zerfurcht. »Nein«, sagte er nach einer Weile, »auf Anhieb fällt mir dafür keine Erklärung ein. Aber mir erscheint es nicht fair, ihr deswegen Gott-weiß-was zu unterstellen. Vielleicht könnte sie selbst das alles ganz schnell und harmlos aufdecken.«
»Bleibt noch der Umstand, dass sie unmittelbar nach jenem 11. Januar das Schiff verkauft hat. Plötzlich. Nach all den Jahren.«
»Weißt du das sicher? Dass sie das Schiff nach dem 11. Januar verkauft hat? Könnte es auch kurz davor gewesen sein?«
Rosanna wurde unsicher. Die Putzfrau im Club hatte sich in dieser Frage nicht genau festlegen können. Sie war nur sicher gewesen, dass es nach dem Jahreswechsel und noch im Winter, also spätestens im Februar gewesen war.
»Nein«, sagte sie zögernd, »sicher weiß ich das nicht. Aber das ließe sich bestimmt nachprüfen.«
»Wenn Jacqueline die Heaven's Gate vor dem 11. Januar verkauft hat, wäre es ein anderer gewesen, der an jenem Morgen auf dem
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