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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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ausgelöst, aber das schien Marc, der es so eilig gehabt hatte, nicht mehr zu interessieren.
    Im Übrigen ließ sich auch niemand blicken. Clubhaus, Anlegesteg und Parkplatz waren noch immer menschenleer.
    Rosanna saß auf der Bank, auf der sie während der ganzen Fahrt gekauert hatte. Tausend Gedanken schössen ihr gleichzeitig durch den Kopf, ohne dass sie hätte sagen können, worüber genau sie nachdachte. Es war, als bedrängten sie eine Vielzahl von Bildern, Möglichkeiten und Vorstellungen, die sie am liebsten gar nicht an sich herangelassen hätte.
    Marc saß noch immer am Steuer. Der Motor des Schiffs tuckerte im Leerlauf. Unter dem grellen Licht dieser ganz zeitigen Frühlingssonne sah Marc fast krank aus.
    »Als du mich vor fast zwei Wochen angerufen hast«, sagte er, »wegen der Reportage für Cover , da wusste ich, dass es Probleme geben würde. Du ahnst nicht, wie entsetzt ich war, weil nun alles wieder aufgerührt werden sollte. Ich konnte kaum schlafen in der darauffolgenden Nacht. Und ich beschloss, mich mit dir zu treffen. Um wenigstens auf  irgendeine Weise die Kontrolle zu behalten.«
    Sie fühlte sich wie betäubt. »Das … sagtest du damals schon«, erwiderte sie mühsam. »Du hattest … Angst, dass dir wieder etwas angehängt wird. Deshalb machtest du mit.«
    »Ja«, bestätigte er, »deshalb machte ich mit.«
    Sie starrte an ihm vorbei zum gegenüberliegenden Ufer. Trotz der noch kahlen Bäume sah die Landschaft lieblich aus. Friedlich. Unberührt von den dunklen Seiten der Welt, von den bösen Geheimnissen, die Menschen in sich trugen.
    »Was hast du mir verschwiegen?«, fragte sie. »Was in der ganzen Geschichte weiß ich noch nicht?«
    Er suchte nach einer Formulierung. »Ich habe dir nicht alles von jener Nacht erzählt«, sagte er dann. »Von der Nacht, in der Elaine bei mir war.«
    »Weil es unbedeutend war?«
    Er bedachte sie mit einem fast herablassenden Blick. »Du weißt genau, dass es bedeutend war. Sonst hätte ich es erzählen können.«
    Es war, als senkte sich ein großer, schwerer Stein auf ihre Brust. Als ziehe sich gleichzeitig ihr Hals zusammen, so dass sie nicht mehr atmen konnte. Das Unfassbare, das als Gedanke in ihrem Kopf heranwuchs, war so schockierend, dass sich alles in ihr dagegen zu sträuben schien, es an sich heranzulassen. Sie verstand plötzlich, weshalb sich die Damen der viktorianischen Epoche in eine Ohnmacht zu flüchten pflegten, wenn die Situation, in der sie sich befanden, zu anstrengend wurde. Zum erstenmal in ihrem Leben hätte sie sich das auch gewünscht: einfach die Besinnung zu verlieren und zu hoffen, dass sich alles gelöst hätte, bis sie wieder aufwachte. Was nicht der Fall wäre, beides nicht. Sie würde nicht ohnmächtig, auch wenn ihr das Atmen schwerfiel, und schon gar nicht würde sich irgendetwas verändert haben, bis sie wieder aufwachte.
    »Stimmt es, dass Elaine hier auf diesem Boot war?«, fragte sie. Sie fand, dass ihre Stimme seltsam klang. Anders als sonst.
    Er nickte. »Ja. Vermutlich würde das auch die Spurensicherung feststellen.«
    »Du hast noch immer den Schlüssel. Du bist an jenem Morgen mit dem Schiff hinausgefahren.«
    Er nickte wiederum.
    »Aber warum?«, fragte sie leise. »Warum hast du Elaine mit auf das Schiff genommen?«
    »Ja, warum?«, wiederholte er. »Eine gute Frage. Warum habe ich Elaine überhaupt mit in meine Wohnung genommen? Warum habe ich mich in diese ganze verdammte Geschichte verstrickt?«
    »Warum … ?«
    Er unterbrach sie. »Hast du dich einmal nach deinen Warums gefragt? Warum wolltest du über Elaine schreiben? Warum in der Vergangenheit graben? Warum nicht irgendwann Ruhe geben? Warum nicht einfach irgendwann Ruhe geben ?«
    »Am Anfang«, sagte sie, »war es einfach ein Auftrag. Der mich aus der Eintönigkeit meines Lebens herausholte.« »Und dann? Was war es dann? Wieso hast du irgendwann an gar nichts anderes mehr denken können? Wieso hast du wie eine Besessene agiert? Hast Jacqueline aufgesucht. Im Yachtclub herumgehorcht. Den Schleusenwärter befragt. Warum? Ist das dein Job? Wirst du dafür bezahlt? Warum hast du dich nicht aus einer Sache herausgehalten, für die du überhaupt nicht zuständig bist? Was, verdammt noch mal, hat dich so daran gereizt, den Detektiv zu spielen?«
    Sie schob den Rand der Wollmütze zurück, die sie sich tief in die Stirn gezogen hatte. Ihr wurde auf einmal so heiß. Vielleicht stieg das Fieber wieder. Sie empfand Marcs Worte als Angriff und verstand

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