Die Letzte Spur
konnte nur ins Verderben führen. Eigentlich konnte es gar nicht anders kommen, als es nun gekommen ist.«
»Und hat sie gesagt, was sie da macht – in Wiltonfield oder wie das Kaff heißt?«, fragte Robert. Er hatte diese Frage schon mindestens zehnmal während der letzten Stunden gestellt.
»Die Verbindung war nicht allzu gut, das sagte ich doch schon«, wiederholte Marina dennoch geduldig. »Ich meine, dass sie irgendetwas von einem Bootsausflug auf der Themse erzählte, aber ich bin nicht ganz sicher, weil ich nur Bruchstücke verstehen konnte.«
»Wieso sollte sie an einem Februartag auf der Themse herumkreuzen ?«
»Es ist immerhin schön sonnig. Und die Gegend dort draußen ist zauberhaft. Vielleicht kennt sie jemanden, der ein Schiff hat.«
»Wen denn?«
Marina hob die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Ich kenne Rosanna doch überhaupt nicht!«
Sie saßen in Marinas Küche. Rob hatte lange geduscht und sich frische Kleidung angezogen, während Marina den Frühstückstisch deckte und eine große Kanne heißen Tee mit Zitrone kochte. Robs Ausbruch, die kalte Nacht in einem Gartenhäuschen, die Tatsache, dass er in recht kläglichem Zustand von seiner Mutter aufgegriffen worden war, hatte sein Verhalten verändert: Seine Aggressionen waren in sich zusammengefallen, der aufsässige, widerspenstige Typ, den er herausgekehrt hatte, hatte sich in einen unsicheren Jungen verwandelt, der nicht zu wissen schien, wie es weitergehen sollte, und der nur noch eine Anlaufstelle sah: Rosanna. Die Frau, die er als Mutter empfand.
»Ich vermute, sie hat einen Mann kennen gelernt«, sagte Rob düster. Er hatte einen langen Schal um den Hals gewickelt, eine Maßnahme, für die es wahrscheinlich zu spät war, denn seine Stimme krächzte bereits bedenklich. Seine Haare waren noch nass vom Duschen.
»Wieso sollte sie denn einen Mann kennen gelernt haben?«, fragte Marina erstaunt.
»Als ich sie zum ersten Mal in England anrief, war sie gerade mit einem Mann verabredet«, erklärte Rob. »Ich hörte, wie man sie von der Rezeption aus anrief und ihr ausrichtete, dass er da sei. Die beiden wollten offenbar den Abend zusammen verbringen.«
»Daran ist doch nichts Ungewöhnliches! Vielleicht ein alter Bekannter. Vielleicht jemand, der etwas mit ihrem Beruf zu tun hatte. Ein Mann und eine Frau können doch einen Abend zusammen verbringen, ohne deshalb gleich eine Affäre zu haben.«
»Aber ich habe ein dummes Gefühl«, beharrte Rob. »Sie hatte Streit mit Dad. Nicht erst kurz vor ihrer Abreise, sondern schon mindestens das ganze letzte Jahr. Immer wieder. Und jetzt kann sie sich nicht durchringen, nach Hause zu kommen. Dauernd schiebt sie neue Gründe vor. Und dann diese Schifffahrt auf der Themse. Jede Wette, dass sie nicht allein ist!«
»Selbst wenn! Ehrlich, Rob, du siehst Gespenster. Sie hat lange in London gelebt, wie Dennis mir erzählt hat. Natürlich hat sie hier Bekannte. Was ist dabei, wenn sie sich mit ihnen trifft?«
Er starrte auf seinen Teller, auf dem ein unberührtes Toastbrot lag. »Und wenn sie sich nicht meldet?«
»Sie hat aber versprochen, sich zu melden. Heute noch.«
»Und dann wird sie mir irgendein Märchen auftischen. Dass sie nichts hat mit einem anderen. Als Nächstes wird sie mit einer neuen Ausrede kommen, weshalb sie nicht nach Gibraltar zurückkann. Wieso ist sie denn überhaupt noch in London? Sie wollte doch schon am Donnerstag zu ihrem Bruder nach Taunton fahren. Es muss ja irgendetwas ganz Großartiges sein, weshalb sie sich hier nicht losreißen kann!«
»Rob!« Marina lehnte sich vor, sah ihren Sohn ernst an. »Rosanna ist eine erwachsene Frau, und sie kann tun und lassen, was sie möchte. Es steht dir nicht zu, ihr hinterherzuspionieren oder Rechenschaft von ihr zu verlangen. Das bringt euch beide am Ende nur auseinander.«
Er schob seinen Teller zurück. »Fährst du mich nach Wiltonfield?«, fragte er.
Sie runzelte die Stirn. »Was? Jetzt?«
»Wenn du es nicht tust, werde ich trampen. Irgendeine Möglichkeit finde ich.«
»Aber das können wir nicht machen.«
»Ich will wissen, mit wem sie dort ist. Und ich will mit ihr reden.«
»Dazu hast du kein Recht. Rob, sei vernünftig, du…«
Seine Augen waren sehr groß, seine Lippen zitterten. »Ich habe Angst. Deshalb habe ich das Recht. Ich habe Angst, dass meine Familie kaputtgeht. Ich kann nicht hier sitzen und warten, was passiert. Ich will es wissen.«
Er war aufgestanden, während er sprach. Auch Marina erhob
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