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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Küche kommen können?«
    »Wir müssen doch gar nicht wissen, dass es Jacqueline nicht mehr gehört. Du zumindest musst es nicht wissen.«
    »Das ist doch Blödsinn. Was versuchst du da? Eine Situation zu rekonstruieren? Jacqueline und Elaine an einem Januarmorgen vor fünf Jahren auf diesem Schiff? Was, glaubst du, wird passieren? Denkst du, es kommt plötzlich eine Erleuchtung über dich?«
    Sie stand ihm gegenüber auf dem leise schwankenden Schiff, ließ plötzlich die Schultern sinken.
    »Vielleicht hast du recht. Vielleicht … habe ich mich verrannt. «
    Sie sah frustriert und elend aus. Was sicherlich ebenso sehr an ihrer heftigen Erkältung lag wie an der Enttäuschung, und dennoch tat sie ihm plötzlich leid. Und noch etwas ging ihm auf: Sie musste hier, an diesem Ort, mit etwas abschließen. Für sich selbst etwas klären, was sie anderen gegenüber, und vielleicht sogar vor sich selbst, nicht in Worte fassen konnte. Letztlich ging es womöglich nur darum, Abschied von Elaine zu nehmen und von der Hoffnung, ihr Schicksal aufklären zu können.
    »Ich versuche, ob der Motor anspringt«, sagte er, »und wenn ja, dann fahren wir ein Stück raus. Wenn nein – dann werde ich nicht auch noch losgehen und von den anderen Schiffen hier Sprit klauen. Okay? Wenn wir kein Benzin haben, fahren wir nach Hause und vergessen das alles.«
    Sie nickte.
    Beim dritten Versuch sprang der Motor rumpelnd und stolpernd an.
    »Hilf mir, die Festmacher loszubinden«, sagte Marc. »Wir stechen in See.«
     
    Marc hatte recht gehabt, über dem Fluss wehte ein sehr kalter Wind. Rosanna kuschelte sich tiefer in ihre Jacke, schlang beide Arme um sich. Sie zog ihre Wollmütze in die Stirn und wünschte, sie hätte auf Marc gehört: Nach diesem Abenteuer würde sie vermutlich erst richtig krank sein.
    Das Schiff machte eine langsame Fahrt. Sie nahmen die gleiche Strecke, die Jacqueline – oder wer auch immer – an jenem Morgen genommen haben musste. Sanfthügelige Wiesen entlang des Ufers, große, alte Weidenbäume, hier und da dichte Schilfgürtel, dann wieder Kieselsteine, über die sanft das Wasser schwappte. Immer wieder ein Dorf, dann ein um diese Jahreszeit noch im Winterschlaf liegendes Städtchen. Sie sahen einen einsamen Radfahrer, der sich den offenbar sehr holprigen Treidelpfad oben auf der Böschung entlangkämpfte. Zwischendurch aber war nur Einsamkeit. Kein Hinweis darauf, dass sie sich noch immer nicht allzu weit von der riesigen Metropole London entfernt befanden. Sie waren mitten auf dem Land, mitten im Nirgendwo. Völlig allein.
    Kurz bevor sie Purley erreichten, fragte Marc: »Willst du auch noch durch die Schleuse? Das kann nämlich dauern. «
    Sie schüttelte den Kopf, müde plötzlich und resigniert. »Nein. Das muss nicht sein.«
    Sie kauerte auf der Sitzbank und überlegte, wie sich Jacqueline Reeve fünf Jahre zuvor gefühlt haben mochte. Eine vielleicht schon tote Elaine an Bord, ungeduldig und nervös überlegend, ob es ihr wohl gelingen würde, die Mapledurham-Schleuse rasch zu passieren. Die Last loszuwerden, Beweise zu vernichten. Zitternd vor Hass auf ihren Mann, verzweifelt, weil dieser Hass sie zu einer schrecklichen Tat getrieben hatte.
    Es musste noch winterliche Dämmerung geherrscht haben, der Tag war wohl gerade erst grau, neblig und schwerfällig am östlichen Horizont heraufgekrochen. Eine Vergnügungsfahrt schien Rosanna ausgeschlossen. Es war für sie fast nicht vorstellbar, dass die Fahrt der Heaven's Gate in den frühen Morgenstunden des 11. Januar 2003 einen harmlosen Hintergrund gehabt haben konnte.
    Als könne er ihre Gedanken lesen, sagte Marc, der am Steuer saß: »Es wäre unbedingt wichtig, den genauen Zeitpunkt des Schiffsverkaufs herauszufinden. Angenommen, er hat ganz kurz vor dem entscheidenden Datum stattgefunden, dann hielte ich es für denkbar, dass der neue Eigentümer, beglückt über den Erwerb, mit dem Schiff sogar einen Ausflug zu einer äußerst ungewöhnlichen Zeit unternimmt. Oder der Verkauf stand kurz bevor, dann könnte es sich auch um eine Probefahrt gehandelt haben.«
    »Um diese Uhrzeit? Im Winter?«
    Er zuckte die Schultern. »Wenn sich kein anderer Termin für Jacqueline und den Käufer finden ließ? Sie war damals ständig, gerade an den Wochenenden, bei ihrer Mutter in Cambridge. Es war ein Samstag. Der Tag war voll verplant, sie konnte nur diese unmöglich frühe Uhrzeit anbieten. Hältst du das für so abwegig?«
    Sie wusste, dass es nicht abwegig war. Für

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