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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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unten liegen blieb, sah sie völlig unverletzt aus. Aber als ich endlich hinterherkam – und ich fürchte, das dauerte eine ganze Weile, aber wie viel Zeit genau verstrich, kann ich nicht sagen –, also, als ich endlich hinterherkam und mich über sie beugte, merkte ich, dass sie tot war.
    Ich vermute, sie hat sich das Genick gebrochen. Groß, dick, aufgeschwemmt und tot lag sie in der Diele meines Hauses. Eben hatte sie noch in Joshs Zimmer gesessen und mich mit ihren Reden genervt. Es war so schnell gegangen. So schrecklich schnell.
    Aber so passieren die meisten Katastrophen, oder? Sie passieren innerhalb von Sekunden. Aus kleinen Irrtümern, winzigen Fehlern heraus. Aus Banalitäten oder Unachtsamkeiten. Meist passiert gar nicht viel, oder nichts, was wirklich dramatisch wäre. Die Situation zwischen mir und Elaine war, von meiner Seite aus, emotionsgeladen gewesen, aggressiv, aber nicht gefährlich für Elaine. Aus ihrer Sicht hatte sich wohl blitzschnell ein vertrauliches, freundschaftliches Gespräch in eine Attacke aus Wut und Zorn verwandelt. Aber bei all dem hätte nichts passieren müssen. Sie hätte nur einfach gehen müssen. Ich glaube sogar, ich hätte sie von der Straße wieder hereingerufen. Ich hätte sie nicht in diese kalte, neblige Nacht hinausgejagt. Wenn sie nur aufgehört hätte, mich wegen Josh anzugehen, wäre ich ein paar Minuten später schon wieder gefasst gewesen. Ich wollte nur, dass sie kapiert, sie muss mich mit diesem Thema in Frieden lassen.
    Aber so war es nun zur Tragödie gekommen. Es war nichts mehr zu ändern, nichts mehr gutzumachen.
    Ich musste sehen, wie ich mich rettete.«
    »Und du dachtest, indem du die tote Elaine irgendwie beiseiteschaffst und alles vertuschst, rettest du dich?«, fragte Rosanna.
    Sie saß noch immer an derselben Stelle in dem leise schaukelnden Schiff. Marc saß ihr nun gegenüber. Noch immer strich der kalte Wind über das Wasser, aber die Sonne war höher gestiegen, die Kraft ihrer Strahlen nahm zu. Es wurde wärmer. Ansonsten hatte sich nichts verändert, noch immer war kein Mensch am Ufer zu sehen, und bis auf ein einziges kleines Frachtschiff hatte sich auch auf dem Fluss nichts mehr gerührt. Nur die Schreie der Vögel unterbrachen hin und wieder die Stille.
    Nichts hatte sich verändert, und doch alles.
    Rosanna fühlte eine seltsame Betäubung, die gleichzeitig zwei gegensätzliche Empfindungen in ihr auslöste: Ein Teil von ihr befand sich weit weg von den Geschehnissen, sah das Schiff, den Fluss, den Mann wie durch einen Schleier, nahm alle Geräusche nur gedämpft wahr. Während ein anderer Teil überwach war, in greller und schmerzhafter Klarheit registrierte, was er sah und hörte.
    Und was er hörte, hätte er um keinen Preis hören wollen.
    Marc hob in einer hilflosen Geste beide Hände. »Was hätte ich sonst tun sollen? Ich hatte eine fremde Frau am Flughafen aufgegabelt und mit nach Hause genommen, und nun lag sie tot vor mir. Wie hätte ich das erklären sollen?«
    »So, wie du es mir erklärt hast. Sagen, was passiert ist.« »Hätte man mir geglaubt?«
    »Die Forensik ist sehr weit heutzutage. Ich denke, man wäre in der Lage gewesen, den Unfallhergang zu rekonstruieren und dabei festzustellen, dass du die Wahrheit sagst.«
    »Kann sein. Aber das hätte mir auch nicht viel genutzt.« Er strich sich über die Augen. Sie waren gerötet vor Erschöpfung. »Meiner Karriere hätte diese ganze Geschichte in jedem Fall erheblichen Schaden zugefügt. Unwahrscheinlich, dass sie mich in der Kanzlei, für die ich vorgesehen war, noch hätten haben wollen. Aber was viel mehr wog: Was glaubst du, wie sich dieses… Unglück in der bevorstehenden Scheidung und in einem möglichen Sorgerechtsprozess ausgenommen hätte? Es ging ja immer um mein angeblich so wildes, außereheliches Beziehungsleben. Nun gab ich das Bild eines Mannes ab, der wildfremde Frauen auf Flughäfen anspricht und gleich mitnimmt. Wenn die dann kurz darauf mit gebrochenem Genick am Fuß meiner Treppe liegen, lässt mich das nicht unbedingt seriöser erscheinen. Oder findest du, dass mich das als einen Mann ausweist, in dessen Obhut man gern und mit gutem Gefühl einen minderjährigen Jungen gibt, der ohnehin schon erhebliche Probleme mit seinem Vater hat?«
    Josh. Es ging wieder um Josh. Für alles, was in dieser ganzen Geschichte, in dieser Tragödie geschehen war, war er der Dreh- und Angelpunkt.
    »Aber dachtest du, du kannst sie verschwinden lassen und niemand wird sie

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