Die Letzte Spur
dieses Gespräch ungern fortsetzen, ich würde nun schlafen gehen. In meiner Erinnerung stand sie daraufhin auf, kam auf mich zu und meinte, es sei keine Lösung für mich, dem Problem davonzulaufen, der Auseinandersetzung mit mir selbst auszuweichen. Irgend so etwas. Hausfrauenpsychologie. Bücher mit derlei Phrasen überschwemmen leider den Markt, und jeder hat dadurch für jede Situation ein paar schlaue Bemerkungen parat.
Wie auch immer, sie ließ nicht locker. Sie kapierte nicht, wie wütend ich schon war. Hätte sie nur die Spur von Instinkt gehabt, hätte sie erkannt, dass es höchste Zeit war, von mir abzulassen, dann wäre alles ganz anders ausgegangen. Aber sie hatte sich, glaube ich, in die Rolle meiner psychologischen Beraterin geradezu verliebt. Nichts lenkt so schön von den eigenen Problemen ab wie die intensive Beschäftigung mit den Problemen anderer. Und dann sagte sie, ich müsse lernen, auch meinen eigenen Fehlern ins Auge zu sehen, und da explodierte etwas in mir. Wenn ich etwas getan hatte, seit Jacqueline und Josh gegangen waren, dann war es das Nachdenken über meine Fehler. Ich hatte mich zerfleischt und zerquält. Ich war gnadenlos mit mir ins Gericht gegangen, ich tat es auch nach jener Nacht, und ich tue es bis heute. Ich hatte es nicht nötig, mir von dieser dreiundzwanzigjährigen Landpomeranze so etwas sagen zu lassen. Ich wollte nicht, dass ich Beklemmungen bekam, weil eine Elaine Dawson sich in den Kopf gesetzt hatte, mich zu analysieren. Ich weiß aber heute auch – genau genommen, wusste ich es schon am nächsten Tag –, dass ich mich wie ein Idiot benahm. Es war verrückt, dass ich mich von ihr in die Enge treiben ließ. Sie kannte mich nicht. Jacqueline und Josh auch nicht. Sie hatte keine Ahnung von unserer Situation. Sie redete etwas daher, ohne Bescheid zu wissen. Ich hätte kühl und souverän damit umgehen sollen. Ich hätte mich nicht hinreißen lassen sollen … ja, wozu?
Ich schwöre, ich weiß nicht genau, was ich sagte oder tat. Ich glaube, ich brüllte sie plötzlich an. Was sie sich anmaße, was sie sich einbilde. Wie sie dazu komme, sich in mein Leben zu mischen. Wie sie sich einbilden könne, mich interessiere irgendetwas aus ihrem jämmerlichen Leben. Sie solle zusehen, dass sie verschwinde. Dass es mir gleich sei, wo sie die Nacht verbringe, in meinem Haus jedenfalls nicht. Sie solle einfach machen, dass sie fortkäme, und sich nicht mehr blicken lassen.
Ich weiß, dass ich zitterte. Ich weiß auch noch, dass sie schneeweiß im Gesicht wurde. Sie schien zu Tode erschrocken. Sie hatte wirklich nicht bemerkt, dass die Situation schon die ganze Zeit über auf diese Eskalation hingesteuert war. Mein Ausbruch schien sie komplett unvorbereitet zu treffen. Was mich bis heute beschäftigt, ist die Tatsache, dass sie offenkundig echte Angst vor mir bekam. Ich muss ungeheuer bedrohlich auf sie gewirkt haben, viel bedrohlicher, als ich das fühlte. Genau genommen, war meine Wahrnehmung, was mich selbst betraf, eine ganz andere: Ich fühlte mich als Opfer. Als derjenige, der attackiert worden war, der verletzt worden war, dem keine Wahl blieb, als sich schreiend zu wehren. Ich wollte ihr nichts antun. Ich wollte nur, dass sie verschwand. Dass sie den Mund hielt. Dass sie mich einfach in Ruhe ließ.
Sie aber muss geglaubt haben, dass ich jeden Moment auf sie losgehe. Vielleicht habe ich lauter gebrüllt, als mir bewusst war. Vielleicht war mein Gesicht zur Fratze verzerrt. Ich weiß es nicht. Sie ging aus dem Zimmer, bewegte sich rückwärts zur Treppe, behielt mich starr im Auge, als fürchte sie, ich könnte ihr von hinten einen Hammer auf den Kopf schlagen oder etwas Ähnliches. Kann auch sein, dass ich mitging, dass ich ihr dabei zu nahe kam, dass ich eine bedrohliche Haltung angenommen hatte. Wie gesagt, meine Erinnerung an diese Nacht ist lückenhaft und verschwommen.
Die Treppe in meinem früheren Haus ist hoch und steil. Kann sein, Elaine verfehlte schon die oberste Stufe, kann sein, sie kam noch ein paar Stufen hinunter. Ich weiß es nicht. Ich sah sie plötzlich fallen. Ich war erschrocken, aber unfähig zu reagieren. Vielleicht hätte ich sie noch halten können. Vielleicht war aber auch der Abstand zwischen uns zu groß. Auf jeden Fall stand ich wie gelähmt. Sie fiel rückwärts. Ihr Kopf schlug mehrfach hart auf die steinernen Stufen. Es war ein furchtbares Geräusch. So laut. Ein Krachen. Als zerberste ihr Kopf in tausend Stücke. Was er nicht tat. Als sie
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