Die Letzte Spur
Körper. Während Pit vor sich hin pfiff. Er war jetzt glänzender Laune, und später war er sogar noch mit ihr in ein Schuhgeschäft gegangen und hatte ihr ein Paar Pumps spendiert, schwarzer Lack, zwölf Zentimeter hohe Absätze, zwei große strassbesetzte Schnallen vorn auf den Spitzen. Er mochte es, wenn sie solche Schuhe trug. Sie nicht, aber sie hätte ihm nie widersprochen.
Wie ging das aus damals?, fragte sie sich. Sie stand wieder in ihrem kleinen, verschlagähnlichen Bad in der Wohnung über Mr. Cadwick, dem Spanner, betrachtete ihr verhärmtes Gesicht im Spiegel, das so viel älter aussah, als es tatsächlich war, und zog noch immer ihre Schultern frierend zusammen.
Der Mann hatte Pit angezeigt. Passanten, die zwar zu feige gewesen waren, ihm zu helfen, hatten sich zumindest das Autokennzeichen gemerkt. Allzu viel war nicht passiert. Pit hatte eine Geldstrafe bekommen sowie eine Freiheitsstrafe, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dass er nun vorbestraft war, hatte ihn nicht gestört. Er schien diesen Umstand sogar eher als eine Art Ritterschlag zu empfinden.
Sie spritzte etwas Wasser in ihr Gesicht, bürstete ihre Haare. Auf die Dusche verzichtete sie an diesem Morgen, der Boiler war so klein, dass das warme Wasser immer viel zu schnell aus war, und sie meinte, den plötzlich eiskalten Strahl heute nicht zu ertragen. Sie huschte in ihr Schlafzimmer zurück, schlüpfte rasch in Wäsche, Jeans, Pullover und dicke Socken. Sie brauchte dringend einen heißen Kaffee, um irgendwie warm zu werden. Es war eine Schande, dass Mr. Cadwick es wagte, eine derart zugige Wohnung zu vermieten. Er hätte längst die Fenster erneuern lassen müssen. Wenn er dabei wenigstens ein netter Kerl gewesen wäre. Aber am Ende schlich er schon wieder im Treppenhaus herum oder presste sich gegen ihre Wohnungstür, drückte sich das Ohr platt und wurde dabei von Frühlingsgefühlen durchrieselt. Sie schüttelte sich.
In der Küche nebenan lag eine Zeitung auf dem Tisch. Sie hatte sie gestern gekauft und sorgfältig den Immobilienteil studiert. Zwei Dörfer weiter wurden zwei Wohnungen angeboten, die nicht mehr kosteten als das Loch, in dem sie jetzt lebte, die aber sicherlich nicht schlechter sein konnten. Das Problem war, dass sie dann nicht mehr zu Fuß zum Elephant gehen konnte. Zwar gab es einen Bus, aber der fuhr natürlich nicht spätnachts, wenn sie endlich mit der Arbeit fertig war. Sie würde sich ein Fahrrad kaufen müssen, aber was wäre im Winter? Vielleicht fand sie aber auch einen Job in dem anderen Dorf, zumindest konnte sie sich umhören. Ideal war es sicher so, wie sie jetzt lebte, aber sie hatte inzwischen eine fast krankhafte Abneigung gegen Mr. Cadwick entwickelt, sie konnte an nichts anderes mehr denken als an einen Umzug.
Vielleicht war es auch nicht schlecht, sich wieder einmal zu verändern. Sie erinnerte sich, wie sie sich am Anfang, kurz nach ihrer Flucht, geschworen hatte, nie zu lange an einem Ort zu bleiben. Vielleicht war sie schon dabei, leichtsinnig zu werden, und der grässliche Mr. Cadwick war ein Wink des Himmels, dass sie ihre Zelte abbrechen sollte. Manchmal hatte sie ja schon gedacht, dass sie sich alles nur einbildete, dass sie, traumatisiert wie sie war, eine ganz unnötige Dauerflucht inszenierte. Aber nachdem ihr gerade wieder die Geschichte auf dem Tesco-Parkplatz eingefallen war, wusste sie, dass sie nicht vorsichtig genug sein konnte. Mit dem Parkplatz hatte es angefangen. Danach waren noch andere Dinge passiert. Sie hatte es bei Pit mit einem Psychopathen zu tun. Im tiefsten Innern wusste sie, dass er mit einer offenen Rechnung unmöglich leben konnte. Manchmal wachte sie mitten in der Nacht auf und spürte, dass Pit noch immer nach ihr suchte.
Sie verstaute die Zeitung in ihrer Tasche. Von Mr. Cadwicks Telefon konnte sie bei den Vermietern nicht anrufen, das war klar. Sie würde es vom Elephant aus tun.
Vielleicht würde sie nie wieder an dunklen, kalten Wintermorgen so frieren müssen wie in ihrer derzeitigen Herberge.
Allein diese Vorstellung hob ihre Laune bereits gewaltig.
2
Inspector Fielder von Scotland Yard saß in der Küche der Familie Biggs in Islington und mochte seinen Job an diesem Morgen nicht besonders gern. Als Junge hatte er die gängige Kriminalliteratur verschlungen, sich mit berühmten Detektiven und Polizisten identifiziert und zu keinem Zeitpunkt einen anderen Berufswunsch gehabt als den, zur Polizei zu gehen. Er wollte Morde aufklären. Er
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