Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
sich mit schäbigen Imbissbuden und leeren Cafés ab. Überall liefen Fernseher. Während die meisten Ladenbesitzer wie Israelis aussahen, wuselten in den Straßen vor allem die sogenannten Migrationsarbeiter: Filipinos und Thailänder, aber auch Chinesen und Inder. Daneben liefen Flüchtlinge aus Afrika die Geschäfte ab odersaßen vor den Kiosken in der Sonne. Überall standen überfüllte, offene Mülltonnen, in denen Straßenkatzen nach Futter suchten. Assaf fiel auf, dass er keine schwarzen Frauen sah, während die Filipinos fast ausschließlich weiblich waren. Er war sich sicher, dass der Männerüberschuss eine Ursache für die steigenden Gewaltverbrechen der Afrikaner war. Die meisten der Flüchtlinge schätzte er auf irgendwas zwischen 20 und 35 Jahren, ein Alter, in dem Männer normalerweise sexuell am aktivsten waren und in dem es zum Problem wurde, wenn diese Sexualität nicht ausgelebt werden konnte. Der Kommissar war der Auffassung, dass die Bereitwilligkeit der Palästinenser, sich in die Luft zu jagen, maßgeblich auch darauf beruhte, dass sie glaubten, mit 72 Jungfrauen im Paradies belohnt zu werden. Er war fest davon überzeugt, dass es in Gemeinschaften, in denen viele sexuelle Tabus bestanden, eine höhere Gewaltbereitschaft gab. Ein weiterer Grund, warum er froh war, in Tel Aviv zu leben. Hier waren mehr als 90 Prozent der Einwohner Juden. Und davon waren auch nur die wenigsten religiös. In der Stadt gab es keine Tabus. Die Ultraorthodoxen nannten Tel Aviv daher auch gerne – mit höchstmöglicher Verachtung in ihren leisen Stimmen – die »Stadt der Sünden und Sünder«.
Schnell lief Assaf an einer Kirche vorbei, an der »Lord Our Righteous Ministry« stand, und bog in die Bnei-Brak-Straße ein. An der Ecke befand sich ein großer Sexshop, der in schriller Schrift auf dem Schaufenster für Videokabinen warb. Eine Ironie, war doch Bnei Brak gleichzeitig der Name für ein ultraorthodoxes jüdisches Viertel vor Tel Aviv, in dem sich Frauen nicht ohne bedeckte Schultern und Beine bewegen sollten.
Auf der gegenüberliegenden Seite saßen ein paar Junkies auf den Treppenstufen und hantierten an dem Zeug für ihren nächsten Schuss herum. Sie bemerkten Assaf nicht einmal, so gierig starrten sie auf das kleine, in Alufolie eingewickelte Päckchen. Zielstrebig bog Assaf links in die Feinstraße ein und ahnte sofort, welches Haus die Nummer sieben sein musste. Denn in der kleinen Straße schien überhaupt nur ein Gebäude bewohnbar zu sein, und vor diesem saßen mehrere Afrikaner auf Plastikstühlen und rauchten Wasserpfeife.
Assaf näherte sich dem Grüppchen und fragte, ob einer von ihnen Moses sei. Auf die misstrauischen Blicke hin fügte er hinzu, dass er von einer nichtstaatlichen Hilfsorganisation komme. Die Gesichter entspannten sich, und ein großer, kräftiger Typ sagte ihm in perfektem Hebräisch, Moses bewohne ein Zimmer im ersten Stock in der Wohnung rechter Hand.
Assaf betrat das Haus und war ehrlich überrascht, dass es hier nicht nach Urin stank. Stattdessen hingen Gerüche von fremden Gewürzen in der Luft des dunklen Treppenhauses. Er beschloss, dass er unbedingt etwas zu Mittag essen musste, wenn er mit diesem Moses fertig war. Vom Hunger angetrieben, nahm er zwei Stufen auf einmal. Im ersten Stock ging er in die offene Tür der Wohnung rechts hinein und blieb abrupt stehen bei dem Anblick, der sich ihm bot. Unzählige winzige Kammern waren durch Pappwände in die Wohnung gezogen worden. Jedes Zimmerchen war höchstens zweimal drei Meter groß. Direkt am Eingang lag ein Badezimmer, das Assaf mit der über der Toilette angebrachten Dusche an die billigen Hostels in Indien erinnerte, die er bei seinem Trip nach dem Grundwehrdienstzuhauf gesehen hatte. Die meisten Kämmerchen entlang des langen Flures waren leer, in manchen saßen Männer auf den kargen Einmannbetten und telefonierten oder dösten vor sich hin.
Assaf wurde auf einmal etwas mulmig, er fühlte sich wie mitten in der Höhle des Löwen. Die Kammern waren düster, die meisten hatten nicht einmal ein Fenster. Er versicherte sich mit einem unauffälligen Griff an den hinteren Hosenbund, dass er seine Waffe bei sich hatte. Vielleicht hätte er doch lieber Yossi mitnehmen sollen. Die Männer, die ihn an Hühner in Legebatterien erinnerten, sahen ihn misstrauisch an, sobald sie ihn entdeckten. Er war der einzige Weiße.
»Wo ist Moses?«, fragt er den Erstbesten, der dann stumm auf das letzte Kämmerchen im Gang
Weitere Kostenlose Bücher