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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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hinüberging. Langsam füllte ich
das Zahnputzglas mit Wasser und nahm zwei Optalidon gegen die Kopfschmerzen.
     
     
    »Also, dann trinken wir darauf, Petra«,
sagte ich und hob meinen Doppelten hoch.
    »Worauf?«
    »Daß nicht Sie zum Turm gegangen sind.«
    Petra trank nicht aus. Wir saßen
zusammen in einem kleinen Landgasthaus, nicht weit weg von unserem Berg mit der
Zweigstelle.
    Die Polizei war den ganzen nächsten Tag
noch da gewesen, aber Nogees hatte mich nichts mehr gefragt, nur die anderen,
auch Petra. Inge war weggebracht worden, dafür waren zwei Kriminalbeamte
zurückgeblieben. Sicher besser für uns alle. Am Abend hatte ich das Bedürfnis
verspürt, spazierenzugehen. Petra war mitgekommen.
    »So was sollten Sie nicht sagen. Die
arme Inge. Wenn ich gegangen wäre, wäre es vielleicht anders ausgegangen.«
    »Was wollen Sie machen gegen einen
Kerl, der mit einem Skalpell im Dunkeln lauert?«
    »Ach, da kann man schon was machen.«
    »Ich staune über Ihre Zuversicht. Ich
wäre wahrscheinlich genauso umgekippt wie Inge.«
    »Ja, Sie!«
    »Schweigen Sie, Elende!«
    Petra lächelte. Ich trank mein Bier aus
und bestellte ein neues.
    »Was hat der Herr Nogees diesmal mit
Ihnen gemacht?«
    »Oh, er hat wieder ein bißchen Katze
und Maus mit mir gespielt«, erwiderte ich. »Deutete in aller Freundschaft an,
daß ich durchaus als Mörder von Inge in Frage käme und meine treuherzigen
Geschichten gelogen sein könnten. An den Trick mit der Sprechanlage wollte er
auch nicht richtig ran.«
    »Danach hat er mich auch gefragt«,
sagte sie nachdenklich. »Aber ich weiß ja ganz genau, daß sie ausgeschaltet
war. Und da...«
    »Und da sagte er prompt, daß man sie
auch von Ihrem Platz aus ausschalten könnte, wie?«
    »Genau das.«
    »Ein mißtrauischer Mensch! Also haben
Sie den Schwindel erfunden, um so zu tun, als hätte ein anderer mitgehört.
Dabei waren Sie es selbst, und somit auch die Täterin! In welchen Abgrund schau
ich da!«
    »Es wird so gewesen sein.«
    »Wir werden alle noch den Verstand
verlieren«, knurrte ich und ergriff mein Glas. Als ich den Schaum an meinen
Lippen spürte, wurde die Tür vom Gastzimmer aufgestoßen. Auf der Schwelle
erschien unser Oberarzt Bierstein. Er schloß die Tür, nickte in den Raum,
tänzelte schnell und wiegend auf unseren Tisch zu. Sein Kragenknopf war
geöffnet, und der Schlipsknoten stand tief genug unten, damit man das auch
sehen konnte.
    »Mahlzeit!« Er klopfte kräftig auf die
Tischplatte. »Hat sich die Strahlenfalle auch zum Bier zurückgezogen?«
    Er setzte sich ohne Umschweife.
    »So ist es, Herr Oberarzt«, sagte ich,
»die pausenlosen Verhöre haben uns zerrüttet. Da haben wir gedacht, ein
Spaziergang mit anschließendem Imbiß könnte nicht schaden. Vielleicht müssen
wir bald mit Handschellen trinken.«
    »Recht habt ihr!« Er drehte sich zur
Wirtin um und winkte, »‘n Abend, Klärchen! Gib mir auch etwas Flüssiges!« Er
sah uns an, wischte sich mehrfach über das Gesicht. »Mir geht’s genauso. Das
Gerede mit dem Kommissar ist mir leicht an die Nebennieren gegangen.«
    »Wollte er Sie auch zum Täter
stempeln?« fragte Petra.
    »Das nicht gerade. Nur mit den
Medikamenten konnte er sich nicht beruhigen. Morphium — Streptomycin — ,
Streptomycin — Morphium. Ewig hin und her. Na, Prost!«
    Wir tranken mit ihm.
    »Ich weiß nicht mehr, was ich dazu
sagen soll«, fuhr Bierstein fort. »Es ist zum Kotzen, mit Verlaub. Die
Patienten schleichen rum wie erkältete Filzläuse. In der ganzen Gegend kommen
wir in Verruf. Der Chef ruft alle zwei Stunden an und will wissen, ob schon
wieder was passiert ist. Und die Polizisten sehen einen an, als wäre man schon
verurteilt zu fünfzehn Jahren Ferien. Widerlich.«
    Ich drehte mein Glas in der Hand.
    »Es muß aber irgendwie mit der Medizin zusammenhängen.
Als das Morphium verschwand, ging der Ärger los. Dann passierte Weiteres, als
das Streptomycin nicht gefunden wurde.«
    »Ja, ja«, entgegnete Bierstein
unwirsch, »seh ich alles ein. Aber wie kriegen wir Grund in das Drama? Was
fängt einer schon mit zehn lumpigen Ampullen Morphium an? Na schön, war die
starke Sorte, null zwei in jeder Ampulle, aber trotzdem! Und mit siebenhundert
oder achthundert Milli Streptomycin! Der Kommissar hat mir Löcher in die
Wirbelsäule gefragt, aber ich konnte ihm nichts sagen! Gar nichts!«
    »Vielleicht wollte jemand den Bergius
umbringen«, sagte Petra leise vor sich hin.
    Bierstein warf den Kopf zurück.
    »Den Patienten?

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