Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
vergessen. «
» Wenn du nicht abhaust « , sagte ich, die Fäuste so fest geballt, dass sich meine Fingernägel in meine Handflächen gruben, » schmeiß ich dich eigenhändig raus! «
» Uuh, was für ein Mannweib! « Zadie lehnte sich zurück und richtete die Kamera auf mein Gesicht. » Ist das dein Ding? Hast du hier die Hosen an? Das gefällt mir. Das ist richtig sexy. «
» Du verdammtes Miststück… «
» Aufhören! « , schrie Dylan plötzlich hinter mir. Als ich mich umdrehte, war sie komplett angezogen und schlüpfte gerade in ihre Stiefel. Sie sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. » Bitte, hört einfach auf. «
» Was machst du denn, Dylan? « Meine Stimme klang schrill und panisch. » Wo willst du hin? Du brauchst nicht zu gehen. Zadie– jetzt zieh endlich Leine! «
» Ganz genau, Süße « , sagte Zadie mit einem boshaften Grinsen. Dylan war bereits auf dem Weg zur Tür. » Ich gehe schon. Aber deine Freundin kommt mit mir. «
Irgendwie habe ich es zurück zur Schule geschafft. Ich musste Dylan finden, ehe sie vergaß, was wir zusammen hatten. Ich wusste nicht mehr, wie ich hergekommen war, aber auf einmal saß ich bei Liv im Unterricht. Sie stand vorne an der Tafel und sagte etwas. Ich sah, wie sich ihre Lippen bewegten, doch ich verstand kein Wort.
Erst als alle mich anstarrten, merkte ich, dass sie mit mir redete.
» Amelia? Ich weiß, dass du mir diese Frage beantworten kannst « , sagte sie. » Sei so gut und kläre deine Mitschüler auf. «
Als ich mich Liv zuwandte, fühlte sich mein Kopf an, als wäre er mit nassem Sand gefüllt. Als könnte er jeden Augenblick von meinen Schultern fallen.
» Amelia? Alles in Ordnung? « , fragte Liv besorgt. » Du siehst gar nicht gut aus. «
Endlich sah ich ihr Gesicht deutlich vor mir. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Liv schaute mich immer noch an, als es klingelte und alle aufsprangen und aus dem Klassenraum stürmten. Außer mir. Ich konnte mich nicht rühren.
Die schreckliche Szene lief immer und immer wieder vor meinem geistigen Auge ab– wie Dylan wie ein Zombie aus dem Haus stolperte. Sie hatte sich nicht mal umgedreht, um sich zu verabschieden. Und Zadies Blick– so voller Schadenfreude. Die ganze Sache war genauso abgelaufen, wie sie es geplant hatte.
» Möchtest du in den Sanitätsraum gehen, Amelia? « Die Klasse war leer, und Liv stand vor meinem Tisch. Sie wirkte bestürzt. » Du bist ja kreideweiß. Ich kann dich begleiten, wenn du willst. «
Ich versuchte, den Kopf zu schütteln, aber er rührte sich nicht.
» Also gut « , sagte Liv, klang jedoch nicht überzeugt. » Aber irgendwas stimmt doch nicht. Das sehe ich dir an. Möchtest du darüber reden? «
Wollte ich darüber reden? Wollte ich meiner netten Englischlehrerin erzählen, dass das erste Mädchen, das ich je geliebt hatte, mir gerade das Herz aus dem Leib gerissen hatte?
» Ich hab grade meine Tage gekriegt « , sagte ich. » Ich hab schlimme Krämpfe. «
» Ach so « , sagte Liv peinlich berührt. » Willst du denn trotzdem zu Mr Woodhouse gehen? Er hat mich gebeten, dich nach dem Unterricht zu ihm zu schicken. Aber wenn du dich nicht gut fühlst… «
» Nein, nein, geht schon « , sagte ich. Es war immerhin eine Aufgabe. Eine Richtung, in die ich mich bewegen konnte. Und vielleicht hoffte ich irgendwie, Woodhouse würde Zadie verschwinden lassen. » Ich schaff das schon. «
Ich saß bei Woodhouse im Büro und wartete darauf, dass er sein Telefongespräch beendete. Ich sah meine Beine auf dem Stuhl, sah meine Hände auf den Armlehnen, aber ich spürte sie nicht. Ich spürte überhaupt nichts.
» Entschuldige « , sagte er, nachdem er aufgelegt hatte. Er schüttelte den Kopf. » Diese Ehemaligen können ganz schön penetrant sein. Pass auf, dass du später nicht auch so wirst. Es ist– na ja, eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass du dich mal so verhältst. «
Ich starrte ihn an. Zu etwas anderem war ich nicht in der Lage.
» Alles in Ordnung, Amelia? «
Bring das in Ordnung!, schrie ich innerlich. Wirf sie von der Schule! Lass sie verhaften! » Ich hab Kopfschmerzen. Migräne. «
» Ach so. Na, dann möchte ich deine Zeit nicht unnötig lange beanspruchen. «
Er nahm einen Umschlag von seinem Schreibtisch und gab ihn mir. Ich starrte darauf.
» Für dich « , sagte er. » Mach ihn auf. «
Nach einer Weile nahm ich den Umschlag entgegen. Alles lief in Zeitlupe ab. Ich spürte das Gewicht des Umschlags in meiner Hand, sah,
Weitere Kostenlose Bücher