Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
, murmelte Kate und vergrub wieder ihr Gesicht in den Händen.
Sie durfte Seth nicht anblaffen. Er war immer so lieb zu ihr, und sie hatte schließlich nicht so viele Freunde, dass sie auf einen verzichten konnte, zumindest in der Stadt. Neben der Arbeit und der Zeit, die sie mit Amelia verbracht hatte, war sie gar nicht dazu gekommen, neue Freundschaften zu schließen, so dass alle ihre engen Freunde– bis auf Seth– Leute waren, die sie noch aus der Highschool oder aus dem Studium kannte. Und keiner von ihnen wohnte in ihrer Nähe. Kate blickte zu Seth auf und klopfte auf die Stelle neben sich auf dem Bett. Er setzte sich neben sie. Er schaute sich in Amelias Zimmer um und erstarrte, als ihm plötzlich klar wurde, wo sie sich befanden.
» Vielleicht sollten wir lieber nach unten gehen « , sagte er. » Ein bisschen frische Luft schnappen. «
» Ich hab heute eine SMS bekommen, nein, eigentlich zwei « , entgegnete Kate, anstatt auf seinen Versuch einzugehen, sie aus dem Zimmer zu lotsen. » In beiden stand, Amelia sei nicht gesprungen. «
» Wirklich? « Seth’ Augen weiteten sich, dann kniff er sie argwöhnisch zusammen. » Moment mal. Von wem kamen die SMS denn? «
» Keine Ahnung. Sie waren anonym. «
Er hob die Brauen. » Anonym? «
» Jetzt fang du nicht auch damit an « , sagte sie leise und schaute Seth in die Augen. » Bitte. «
Eine Weile hielt er ihrem Blick stand, dann entspannten sich seine Züge.
» Okay. « Er legte Kate einen Arm um die schmalen Schultern und stützte das Kinn auf ihren Kopf. » Okay. «
» Vielleicht ist es gut so « , sagte Kate. » Tief im Innern habe ich sowieso nie geglaubt, dass Amelia sich umgebracht hat. Aber ich dachte, wenn ich das laut ausspreche, würde es sich anhören, als würde ich ihren Tod nicht wahrhaben wollen. «
» Ja, aber hat die Polizei nicht… «
» Selbst Polizisten machen Fehler « , fauchte Kate. » Warum nicht auch in diesem Fall? «
» Okay « , sagte Seth noch einmal und hob die Hände.
Er spielte ihr zuliebe mit. Das war ihr klar. Doch es war ihr egal. Sie schaute sich um. Es führte kein Weg daran vorbei, Amelias Sachen durchzusehen, obwohl es ihr lieber gewesen wäre, das nicht in diesem Zimmer tun zu müssen, umgeben von den Erinnerungen an ihre Tochter und dem Geruch des Todes.
» Als Erstes muss ich mich davon überzeugen, dass die Polizei hier drin nichts übersehen hat. «
» Was denn zum Beispiel? « , fragte Seth. » Was glaubst du denn, was in Wirklichkeit passiert ist, Kate? «
Sie zuckte die Achseln. » Ich weiß es nicht. « Sie holte tief Luft. Sie musste aufpassen, dass ihre Fantasie nicht mit ihr durchging. » Aber ich muss es rausfinden. Meinst du, du könntest dich hier mal umsehen? In ihrem Schreibtisch, in ihren Schubladen? Ich nehme ihren Schulrucksack mit nach unten– ich halte es hier drin einfach nicht mehr aus. «
» Natürlich « , sagte Seth. Er wirkte jedoch nicht gerade begeistert. » Wonach soll ich denn suchen? «
» Nach irgendetwas, das beweist, dass Amelia sich nicht umgebracht hat « , sagte Kate leise. » Oder auch nach irgendwas, das beweist, dass sie es getan hat. «
Kate ging mit Amelias verschlissenem Rucksack nach unten. In sicherer Entfernung von dem Zimmer glaubte sie sich in der Lage, das Handy und den Laptop ihrer Tochter durchsehen zu können. Aber als sie sich an den Küchentisch setzte, fürchtete sie sich plötzlich vor bösen Überraschungen.
Schließlich überwand sie sich, den Reißverschluss aufzuziehen. In dem Rucksack befanden sich diverse Hefte, Amelias kleiner Laptop, ein Müsliriegel, ein Lippenfettstift, ein paar Kaugummis, Amelias Handy und Portemonnaie. Kate nahm alle Gegenstände nacheinander heraus und legte sie vorsichtig auf den Tisch. Die normalen Habseligkeiten eines lebendigen jungen Mädchens. Jetzt die kostbaren Hinterlassenschaften eines toten jungen Mädchens.
Als Erstes nahm Kate sich Amelias Handy vor. Es war auch tot. Die makabre Ironie ließ Kate zusammenzucken. Nachdem sie das Ladegerät in einer Außentasche des Rucksacks gefunden hatte, stellte sie fest, dass das Handy passwortgeschützt war. Kate hätte schwören können, dass Molina ihr versichert hatte, er habe Amelias Handy überprüft. Aber ohne Passwort– das nicht einmal Kate kannte– war das schlicht unmöglich. Erst beim dritten Versuch hatte sie Erfolg: eine Kombination aus Amelias und ihrem eigenen Geburtsdatum. Es trieb ihr die Tränen in die Augen.
Als sie Amelias Posteingang
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