Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
bemühte, ihnen keine Beachtung zu schenken– sie nagten an mir. Es nagte an mir. Ich hätte meiner Mom gern gesagt, dass sie mich nicht mehr zu schützen brauchte, dass ich damit umgehen konnte, die Wahrheit über meinen Dad zu erfahren. Aber als ich ihre traurigen Augen sah, wie sie mich anlächelte, als versuchte sie verzweifelt, mich ihre Liebe spüren zu lassen, brachte ich es einfach nicht übers Herz. Ich wollte kein Fass aufmachen. Ich wollte meiner Mom nicht das Gefühl geben, dass sie mir nicht genug war. Und ich hatte auch ein bisschen Angst, dass mich das, was sie mir sagen würde, wütend machen könnte. Wütend auf sie.
Außerdem gab es andere, wichtigere Dinge, über die ich mit ihr reden wollte. Ich brauchte ihren Rat. Natürlich konnte ich ihr nichts von dem geheimen Clubzeugs erzählen. Meine Mom wäre mitten in der Nacht zur Schule gerast und hätte sie Stein für Stein abgerissen. Sie hätte Leelah sofort wieder als Kindermädchen eingestellt. Und dann hätte ich Dylan und die Magpies vergessen können. Ich musste meine Fragen also geschickt formulieren.
» Warst du eigentlich im College Mitglied in einer Studentenverbindung? « , fragte ich.
Das war so etwas Ähnliches wie die Clubs. Die hatten auch ihre geheimen Rituale. Das war sicheres Terrain.
» Studentenverbindung? « Einen Moment lang wirkte meine Mom verwirrt und beinahe peinlich berührt. » Ich fürchte, ja. Zu meiner Verteidigung muss ich aber hinzufügen, dass damals fast alle in Duke einer Studentenverbindung angehörten. Ich hatte das Gefühl, dass mir gar nichts anderes übrig blieb. «
» Hat das Spaß gemacht? « , fragte ich. » Ich meine, warst du froh, dass du dabei warst? «
» Froh? « Sie runzelte die Stirn und legte einen Finger an die Lippen. » Ich glaube nicht, dass froh das richtige Wort wäre. Sagen wir, ich hab’s überlebt. «
Ich fand es komisch, mir meine Mom bei so etwas wie einem Magpietreffen vorzustellen. Im Vergleich zu mir war meine Mom geradezu eine Heilige.
» Was für Mutproben musstest du denn bestehen? « , fragte ich und hatte auf einmal das Gefühl, als gäbe es zwischen uns ein merkwürdiges geheimes Band.
» Moment mal, wieso löcherst du mich plötzlich mit Fragen zu den Studentenverbindungen? « Ihre Augen wurden schmal. » Du hast doch nicht etwa vor, vorzeitig aufs College zu wechseln? «
» Nein « , sagte ich und suchte krampfhaft nach einem Vorwand. » Ich schreibe für meinen Kurs Moralische Kontroversen in Amerika eine Arbeit über Studentenverbindungen. «
Wow, wie war mir das so schnell eingefallen? Ich wurde immer besser im Lügen.
» Moralische Kontroversen in Amerika? Habe ich davon schon mal gehört? «
» Ja, du warst dabei, als ich mir den Kurs ausgesucht hab. «
» Wirklich? « Sie schaute mich verdattert an. » Hast du auch noch normale Fächer? Wie Mathe und so? «
Ich verdrehte die Augen. » Mom, also wirklich. «
» Also gut, wenn es für einen Aufsatz ist, dann will ich dir ganz ehrlich sagen, dass ich von diesen Studentenverbindungen nichts halte. Ich finde sie schrecklich. Ich finde, sie suggerieren den jungen Frauen unter dem Deckmantel der Schwesternschaft, dass sie nichts wert sind. «
Das klang gar nicht gut. Und sie stellte es noch nicht einmal übertrieben dar, nur um mir irgendwas auszureden. Das war ihre ehrliche Meinung. Andererseits war ein geheimer Club nicht wirklich dasselbe wie eine Studentenverbindung. Im Gegenteil. In Wirklichkeit waren die Clubs ganz, ganz anders. Zwischen der Highschool und dem College bestand ein Riesenunterschied.
» Aber um eins klarzustellen: Falls du mal in einer Studentenverbindung landen solltest, würde ich es dir nicht übelnehmen. « Sie legte mir eine Hand auf die Stirn. » Geht es dir gut? Du siehst so blass aus. «
» Es geht mir gut « , sagte ich und wandte den Kopf ab. » Und wie alt warst du, als du angefangen hast, mit Jungs auszugehen? «
Meine Mom atmete tief aus. » Wie alt war ich, als ich es wollte, oder wie alt war ich, als ich es getan habe? « , fragte sie. » Denn ich habe viel mehr Zeit damit zugebracht, über Jungs nachzudenken, als mit ihnen auszugehen. Du weißt ja, dass das Liebesleben noch nie meine Stärke gewesen ist. «
» Wann hast du denn angefangen, Jungs zu mögen? «
Ich war ja selbst eine Spätzünderin, und ich fragte mich seit einer Weile, ob ich da erblich belastet war.
» Bevor ich dir diese Frage beantworte: Hast du schon einen Freund? Denn wir hatten uns auf fünfzehn
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