Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
geeinigt, und erst, nachdem wir darüber geredet haben. Aber ich rege mich nicht auf. Versprochen. Du kannst mir immer alles erzählen, egal was. «
» Nein, ich habe keinen Freund, Mom « , sagte ich und achtete darauf, ihr dabei in die Augen zu sehen. » Ich würde es dir sagen, ehrlich. Ich brauche nur Informationen für diesen Aufsatz. «
» Für denselben Aufsatz? « , fragte sie mit zusammengezogenen Brauen.
Das war gelogen. Es ergab noch nicht mal einen Sinn.
» Ja. Er besteht aus zwei Teilen. «
Sie wirkte immer noch skeptisch.
» Mhmm. Also gut, lass mich mal überlegen, ich glaube, ich war ungefähr dreizehn « , sagte sie und wackelte mit dem Kopf, als hätte es auch noch früher sein können. » Ich erinnere mich nicht mehr so ganz genau. Aber ich bin mir sicher, dass ich mindestens fünfzehn war, als ich zum ersten Mal einen Jungen geküsst habe. Vielleicht auch schon zwanzig. «
Sie sah mich an, als wäre es ganz wichtig, dass mir das jetzt in den Kopf ging, doch dann musste sie grinsen. Das Gute an meiner Mom war, dass sie es immer merkte, wenn sie anfing, sich lächerlich zu machen.
» Ach so, okay « , sagte ich und fühlte mich plötzlich irgendwie verloren. Dreizehn war jünger als fünfzehn. Es waren zwar nur zwei Jahre, aber wichtige Jahre. Vielleicht stimmte irgendwas mit mir nicht. Doch ich konnte ja schlecht von meiner Mom erwarten, dass sie mich aufbaute, wenn sie nicht mal eine Ahnung hatte, worüber wir überhaupt redeten. » Danke. Das war alles, was ich wissen wollte. «
Sie beugte sich vor und nahm mich in die Arme.
» Tut mir leid, dass ich es nicht zum Abendessen geschafft habe, Amelia « , flüsterte sie in meine Haare. » Ich wollte gerade gehen, aber dann hat noch ein Mandant angerufen und… «
» Ist schon in Ordnung, Mom « , sagte ich. » Ich weiß ja, dass du nicht freiwillig länger als nötig bei der Arbeit bleibst. «
Das wusste ich wirklich, auch wenn ich es manchmal echt scheiße fand. Meine Mom hatte feuchte Augen, als sie sich wieder aufrichtete. Wenn sie erschöpft war, hatte sie immer nah am Wasser gebaut. Sie streichelte mir die Wange.
» Du bist ein wunderbares Mädchen, Amelia. «
Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn, dann stand sie auf und ging zur Tür. Plötzlich wollte ich sie nicht gehen lassen. Ich musste noch ein bisschen mit ihr reden. Ich wollte ihr alles erzählen.
» Mom « , sagte ich.
Sie drehte sich in der Tür um. » Ja, mein Schatz? «
» Ich wurde von den… «
In dem Moment klingelte ihr Handy, und sie klopfte ihre Taschen ab. Sie zog das Handy heraus, warf einen Blick aufs Display und machte ein bestürztes Gesicht, als sie sah, wer der Anrufer war.
» Entschuldige « , sagte sie und nahm das Gespräch an. » Hallo, ja, einen Augenblick bitte. « Sie wandte sich mir wieder zu und legte eine Hand über das Handy. » Victor ist zurzeit in Tokio und glaubt offenbar, dass die Welt nur eine Zeitzone hat. Aber ich sollte den Anruf lieber annehmen. Er hat heute schon viermal versucht, mich anzurufen. Können wir später weiterreden, Amelia? «
Ich betrachtete das Handy in ihrer Hand und ihr bemühtes Gesicht. Wenn ich meiner Mom gesagt hätte, dass es wichtig war, dass sie das Gespräch ablehnen sollte, hätte sie es getan. Das wusste ich. Und ich wusste auch, dass sie alles unternehmen würde, um zu verhindern, dass die Maggies oder Dylan mir schadeten. Ich wusste, dass ich ihr blind vertrauen konnte. Aber vielleicht war ich einfach noch nicht so weit. Noch nicht. Nicht, solange mir nicht klar war, was ich ihr eigentlich erzählen wollte.
» Klar « , sagte ich.
» Bist du dir ganz sicher? « , fragte sie. » Diese Zeit gehört dir, nicht denen. «
» Ich weiß, Mom « , sagte ich, und es bedeutete mir viel, dass sie das gesagt hatte. » Ich bin mir ganz sicher. «
Kate
30. APRIL 1998
Drei Wochen, vier Tage und fünf Stunden. So lange ist Amelia jetzt auf der Welt.
Ich denke immer, es müsste leichter werden, aber das tut es nicht.
Die ersten Tage waren die anstrengendsten. Als ich im Krankenhaus lag, ganz allein, und herauszufinden versuchte, wie man mitten in der Nacht ein Baby stillt. Es war schon schwer genug, mich überhaupt aus dem Bett zu hieven. Alles tat mir weh. Und dann musste ich sie noch aus dem kleinen Plastikbett heben.
Sie ist so winzig und weich. Als hätte sie Gummiknochen. Es ist ein schlechter Witz, dass die Natur Neugeborene so zerbrechlich macht.
Zum Glück kommt heute die Kinderschwester, die Gretchen
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