Die letzte Zeugin
das eben.«
»Ich habe keine Angst vor ihm. Es ist für mich auch wichtig, dass ich keine Angst vor ihm habe.«
»Ich weiß. Du sollst auch keine Angst haben, aber trotzdem sollst du mich anrufen, wenn er noch einmal hierherkommt, wenn er versucht, dich auf der Straße anzusprechen, wenn er oder einer seiner Partner dich auf irgendeine Weise kontaktieren. Du bist eine Zeugin, und du stehst verdammt noch mal unter meinem Schutz.«
»Sag so etwas nicht.« Ihr Herz machte buchstäblich einen Satz. »Ich will nicht unter dem Schutz von jemandem stehen.«
»Aber so ist es doch.«
»Nein. Nein, nein.« Heiße Panik stieg in ihr auf. »Ich sage dir Bescheid, wenn er wieder hierherkommt, weil es unethisch ist, wenn er versucht, mich zum Lügen zu bewegen, und weil es gegen das Gesetz verstößt, wenn er mich besticht, damit ich lüge. Aber ich will und ich brauche keinen Schutz.«
»Jetzt beruhige dich doch.«
»Ich bin für mich selbst verantwortlich. Ich kann nicht mit dir zusammen sein, wenn du nicht verstehst und einsiehst, dass ich für mich selbst verantwortlich bin.«
Sie war ein paar Schritte zurückgetreten, und der Hund hatte sich vor sie gestellt.
»Abigail, du bist bestimmt – soweit ich sagen kann – in der Lage, mit beinahe allem, was auf dich zukommt, fertigzuwerden. Aber meine Pflicht ist es, alle in meinem Zuständigkeitsbereich zu schützen. Dazu gehörst auch du. Und es gefällt mir nicht, dass du meine Gefühle für dich als Waffe benutzt, um deinen Willen zu bekommen.«
»Das tue ich nicht.«
»Das tust du sehr wohl.«
»Ich …« Sie brach ab und bemühte sich um Ruhe. »Das war nicht meine Absicht. Ich entschuldige mich dafür.«
»Vergiss es. Benutze einfach meine Gefühle nicht mehr als Hammer.«
»Du bist so wütend auf mich. Ich wollte deine Gefühle nicht benutzen, und das habe ich auch nicht getan. Ich bin in solchen Situationen unbeholfen, weil ich keine Erfahrung darin habe. Ich weiß nicht, was ich tun oder sagen soll. Ich will einfach nicht, dass du dich für mich auf besondere Weise verantwortlich fühlst, aber ich weiß nicht, wie ich dir erklären soll, welches Unbehagen mir das bereiten würde.«
»Warum versuchst du es nicht einfach?«
»Du bist wütend und müde, und dein Abendessen ist kalt geworden.« Entsetzt stellte sie fest, dass ihr Tränen über die Wangen rollten. »Ich wollte das alles nicht. Ich hätte nie gedacht, dass du dich wegen Blake so aufregst. Ich mache etwas falsch, weiß aber nicht, was. Ich will auch nicht weinen. Ich weiß, dass auch Tränen eine Waffe sind, aber ich will sie nicht so einsetzen.«
»Ich weiß.«
»Ich … ich wärme das Essen auf.«
»Es ist schon gut.« Er stand auf, holte eine Gabel aus der Schublade und setzte sich wieder. »Gut«, wiederholte er, nachdem er den ersten Bissen probiert hatte.
»Du solltest mit Stäbchen essen.«
»Ich konnte das nie so gut.«
»Ich könnte es dir beibringen.«
»Ich erinnere dich ein anderes Mal daran. Aber jetzt setz dich hin und iss.«
»Ich … du bist immer noch wütend. Du hast es nur unterdrückt, weil ich geweint habe. Dann sind Tränen doch eine Waffe.«
»Ja, ich bin wütend, und ich habe es unterdrückt, weil du weinst und mir offensichtlich etwas sagen willst, es aber nicht kannst. Ich unterdrücke meine Wut, weil ich dich liebe.«
Die Tränen, die beinahe schon versiegt waren, kamen mit Macht zurück, ebenso wie das heiße Gefühl der Panik. Schluchzend stolperte sie zur Tür, öffnete die Schlösser und stürmte hinaus.
»Abigail!«
»Nicht. Nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich muss nachdenken, meine Fassung wiedergewinnen. Du solltest gehen, bis ich wieder rational sprechen kann.«
»Glaubst du, ich würde dich in diesem Zustand allein lassen? Ich sage dir, dass ich dich liebe, und es kommt mir so vor, als hätte ich dir das Herz gebrochen.«
Sie drehte sich um, die Faust ans Herz gepresst, Tränen in den Augen. »Niemand hat das jemals zu mir gesagt. In meinem ganzen Leben hat das niemand jemals zu mir gesagt.«
»Ich kann dir versprechen, dass du diese Worte von mir jeden Tag hören wirst.«
»Nein … nein, versprich nichts. Nicht. Ich weiß nicht, was ich empfinde. Woher weiß ich, dass ich diese Worte nicht nur höre? Es ist überwältigend, sie zu hören, dich anzusehen und zu erkennen, dass du sie auch so meinst. Es scheint zumindest so, dass du sie auch meinst. Aber woher soll ich das wissen?«
»Man kann nicht alles wissen. Manchmal muss man
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