Die letzte Zeugin
violetten Teppich.
In der duftenden Stille des Waldes wurde sie ruhig.
Bert bebte vor Anspannung. Er warf ihr einen Blick zu, und auf ihr Kommando hin krabbelte er freudig zum Bach hinunter und sprang ins Wasser. Sein Anblick, wenn er wie ein Kleinkind im Planschbecken herumtollte, brachte sie immer zum Lachen.
Sie ließ ihn eine Weile spielen und blickte sich um. Vögel riefen, und in der Ferne hörte sie das Klopfen eines Spechts auf der Suche nach Nahrung. Die Sonnenstrahlen, die durch das junge Grün fielen, schufen eine verträumte Atmosphäre.
Gleich würde der Wald lichter werden, und die Sicht würde sich auf die Hügel öffnen. Sie liebte es, hier oben zu stehen und über die Landschaft zu blicken. Und hier, im weichen Spiel von Licht und Schatten, bei Vogelgezwitscher und dem Plätschern des Bachs, in dem der Hund planschte – hier, dachte sie, fühlte sie sich mehr daheim als im Haus.
Sie würde eine Bank kaufen. Ja, genau, sie würde online gehen und sich eine schöne Bank aussuchen. Aus Holz, das so aussah, als wäre es hier gewachsen. Dann konnte sie den Blick auf die Hügel im Sitzen genießen, während ihr Hund im Wasser spielte. Vielleicht würde sie sich eines Tages sogar so sicher fühlen, dass sie mit einem Buch hierherkommen könnte. Dann könnte sie hier sitzen und lesen, während Bert planschte.
Aber sie musste aufhören, über die Zukunft nachzudenken. Sie musste mit der Gegenwart beziehungsweise mit dem heutigen Abend klarkommen.
»Na gut.« Sie gab dem Hund ein Zeichen, hielt sich aber wohlweislich fern von ihm, als er angerannt kam und sich das Wasser aus dem Fell schüttelte, dass die Tropfen nur so flogen. »›Brooks‹«, begann sie, während sie weitergingen, »›ich finde dich zwar attraktiv und habe den Sex mit dir sehr genossen, aber ich bin nicht in der Verfassung, eine Beziehung mit dir …‹ Nein. Das ist bestimmter: ›Ich bin nicht bereit, eine Beziehung mit dir einzugehen.‹ Er wird nach dem Grund fragen. Das tut er immer, deshalb muss ich mir eine Antwort zurechtlegen. ›Meine Arbeit steht für mich an erster Stelle. Sie beansprucht nicht nur viel Zeit, sondern ich muss mich auch voll darauf konzentrieren.‹«
Sie wiederholte den Text und versuchte, ihn unterschiedlich zu betonen.
»Das müsste eigentlich genug sein, aber er ist hartnäckig. Ich sollte irgendetwas sagen, womit ich ihm für sein Interesse danke. Ich will ihn ja nicht ärgern oder seinen Stolz verletzen. Vielleicht: ›Ich danke dir für dein Interesse. Es ist sehr schmeichelhaft.‹ Schmeichelhaft ist gut. Ja.«
Sie holte tief Luft, erleichtert, weil nicht wieder Panik in ihr aufstieg.
»Ja«, wiederholte sie. »Ich könnte sagen: ›Dein Interesse schmeichelt mir, und ich habe unsere Gespräche genossen.‹ Soll ich noch einmal den Sex erwähnen? Gott. Gott! Wie machen die Leute das bloß? Warum? Es ist alles so kompliziert und problematisch.«
Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne und genoss Wärme und Licht, als sie aus dem Schatten der Bäume trat. Sie blickte zu den Hügeln. So viele Menschen lebten dort, mit so vielen Verbindungen, so vielen Beziehungen. Eltern, Kinder, Geschwister, Freunde, Liebhaber, Lehrer, Arbeitgeber, Nachbarn.
Wie machten sie es alle nur? Wie kamen sie mit den komplexen Anforderungen von Beziehungen zurecht? Mit all den Erwartungen und Gefühlen?
Es war viel einfacher, allein zu leben, der eigenen Routine nachgehen zu können, den eigenen Zielen und nur den eigenen Erwartungen und Bedürfnissen gerecht werden zu müssen, ohne ständig von anderen in Anspruch genommen zu werden.
So hatte ihre Mutter gelebt. Susan Fitch war sicherlich an allen Fronten erfolgreich gewesen. Ja, ihre Tochter hatte sich letztendlich als Enttäuschung erwiesen, aber das kam häufig vor, wenn ein anderes Individuum dazukam.
»Ich bin nicht wie meine Mutter«, murmelte Abigail und legte Bert die Hand auf den Kopf. »Das will ich auch gar nicht. Aber selbst wenn ich Beziehungen und Komplikationen wollte, ich kann es gar nicht. Es ist nicht möglich. Also, versuchen wir es noch einmal. ›Ich finde dich zwar sehr attraktiv‹«, begann sie.
Sie arbeitete fast eine Stunde lang an ihrer Rede, an Betonung und Aussprache, ja sogar an ihrer Körpersprache, und als sie schließlich mit Bert nach Hause ging, war sie immer noch damit beschäftigt.
Da sowohl Diskussion als auch Abendessen zivilisiert sein sollten, öffnete sie eine Flasche Shiraz. Ein halbes Glas trank sie sofort, um ihre Nerven
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