Die letzte Zeugin
weggeblieben wäre. Aber sie konnte ihm nicht ins Gesicht lügen. »Nein. Es macht mich glücklich, dich zu sehen, aber ich will nicht wegen dir glücklich sein.«
»Dann macht es dich also unglücklich, glücklich zu sein.«
»Ich weiß, das klingt nicht rational, aber es stimmt. Es tut mir leid, dass ich mich so verhalten habe.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
Er zog ein gefaltetes blaues Halstuch aus der Tasche. »Hier, das kannst du als Taschentuch nehmen.«
Schniefend nahm sie es. »Danke.«
»Ich stelle dir jetzt eine Frage. Wenn du mir nicht antworten willst, sag es. Aber lüg mich nicht an. Geht es um einen Ehemann, Exmann oder Freund, der dich verletzt hat?«
»Nein. Nein. Es gibt niemanden. Niemand hat mich verletzt.«
»Aber es steht dir auf der Stirn geschrieben. Meinst du vielleicht nur, dass dich niemand körperlich verletzt hat?«
»Ja.« Sie tupfte sich die Augen mit dem weichen, verblichenen Stofftaschentuch ab und blickte zu ihrem Gewächshaus. »Ich kann für mich alleine sorgen. Ich habe keine Männer, keine Freunde oder Beziehungen.«
»Eine Beziehung hast du jetzt.« Er trat zu ihr, hob ihr Kinn mit einem Finger und strich über die Tränen auf ihrer Wange. »Du wirst schon deinen großartigen Verstand anstrengen müssen, um dir zu überlegen, wie du am besten damit umgehst.«
»Ich bin nicht wie andere Menschen, Brooks.«
»Du bist einzigartig. Das ist jeder.«
»Du verstehst mich nicht.«
»Dann hilf mir, dich zu verstehen.«
Wie viel konnte sie ihm erzählen? Wenn er es nur annähernd begriff, würde er sich vielleicht zurückziehen.
»Ich möchte ein Glas Wein.«
»Ich hole es dir.« Bevor sie etwas erwidern konnte, war er schon hineingegangen. Sie nutzte den Moment, um ihre Gedanken zu ordnen. Es hatte keinen Zweck, sich mehr Zeit zum Vorbereiten zu wünschen, dachte sie.
»Ich möchte nicht, dass du Dinge für mich tust«, begann sie, als er mit ihrem Wein herauskam. »Es ist wichtig für mich, alles selber zu erledigen.«
»Auch den Wein zu holen? Ehrlich?« Er setzte sich auf die Stufen der Veranda. »Gute Manieren sind auch wichtig. Kleine Höflichkeiten. Meine Mutter ist eine sehr selbständige, unabhängige Frau, aber ich würde ihr jederzeit ein Glas Wein holen. Nach allem, was ich gesehen habe, weiß ich, dass auch du alles alleine machen kannst. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich dir nicht einen kleinen Gefallen erweisen kann.«
»Es ist dumm.« Verloren blickte sie auf das Taschentuch und zerknüllte es in den Händen. »Ich hasse es, dumm zu sein. Außerdem wollte ich das sowieso nicht sagen.«
»Warum setzt du dich nicht einfach neben mich und sagst mir, was du sagen willst?«
Sie zögerte, aber dann gab sie Bert ein Zeichen, er könne in den Garten gehen, und setzte sich neben ihn.
»Die meisten Dinge beherrsche ich, aber ich glaube, ich kann keine Beziehung erhalten.«
»Warum?«
»Als meine Mutter beschloss, ein Kind zu wollen, suchte sie nach Spendern.«
»Sie war also damals nicht mit jemandem zusammen?«
»Nein. Mit niemandem, mit dem sie sich fortpflanzen wollte.«
Fortpflanzen, dachte Brooks. Das war ein bezeichnendes Wort.
»Sie hatte einen Punkt im Leben erreicht, wo sie ein Kind wollte. Nein, das ist nicht korrekt«, korrigierte sich Abigail. »Sie wollte Nachwuchs, und sie hatte sehr spezifische, äußerst detaillierte Anforderungen an den Spender. Meine Mutter ist eine sehr intelligente Frau, und natürlich wollte sie intelligenten … Nachwuchs produzieren. Hoher Intellekt, gute Gesundheit einschließlich der gesamten medizinischen Familiengeschichte waren ihr sehr wichtig. Auch körperlich stellte sie gewisse Anforderungen an Erscheinung, Körpertyp und Konstitution.«
»Ich verstehe.«
»Als sie sich für einen Spender entschied, bestimmte sie auch das Empfängnisdatum durch künstliche Befruchtung, damit es mit ihrem eigenen persönlichen und beruflichen Terminkalender übereinstimmte. Selbstverständlich sorgte sie für die beste pränatale Pflege, und als ich mit Kaiserschnitt auf die Welt kam, war ich völlig gesund, hatte das richtige Geburtsgewicht und die richtige Größe. Sie hatte sich natürlich schon um eine Amme gekümmert, und so bekam ich hervorragende Pflege und wurde regelmäßig untersucht und getestet, um sicherzugehen, dass ich mich gut entwickelte.«
Das fröhliche Vogelgezwitscher wirkte auf einmal völlig fehl am Platz, ebenso wie der Sturzflug eines glitzernden Kolibris auf einen Kübel
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