Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
es ihm lieb war. Er wollte einen dunklen, geschlossenen, privaten Raum – und Rosa, ganz egal, wie schäbig die Couch war. Aber der Abstand tat gut. So ein Pech, dass sie ihm in die Sonne hinaus folgte und so die Distanz zu reinem Wunschdenken machte. Sie begegneten Abigail, die auf dem Weg wieder hinein war.
Chris fragte: »Wie geht es ihnen?«
»Ich bin mir da nicht so sicher. Viv will, dass ich zusätzliches Getreide mahle, damit sie etwas zu essen bekommen. So schnell wie möglich.«
Rosa nickte und betastete dann zögerlich ihre genähte Wunde, während sie und Chris auf das zugingen, was vielleicht einmal ein Rathaus gewesen war. Viv und Singer hatten die verängstigten Mädchen dort untergebracht. Das Gebäude war niedrig und bestand nur aus einem einzigen Raum, aber es handelte sich dabei um einen weiten, offenen Saal, in den man nur durch eine Tür oder zwei Fenster gelangen konnte. Wie lange war Chris damit beschäftigt gewesen, Rosa zu küssen? Doch sicher nicht so lange. Aber die bescheidene Fläche wurde nun von acht getrennten Schlafplätzen eingenommen: ein Läufer, eine Steppdecke und ein Kopfkissen für jede neue Frau. Viv und Singer legten erstaunliche Tatkraft und Geschäftigkeit an den Tag. Ingrid hielt mit einer furchteinflößenden Maschinenpistole und einer neunschwänzigen Peitsche Wache.
»Wie sieht es aus, Viv?«, fragte Rosa.
Die zierliche Frau, die sogar noch kleiner als la jefa war, wischte sich die Hände an ihrer blassblauen Schürze ab. »Mica und Jolene haben auf der Suche nach entbehrlichem Bettzeug alle Häuser geplündert. Singer kocht gerade Wasser, damit die Frauen sich säubern können, und geht ihr Lager durch, um ihnen neue Kleidung zur Verfügung zu stellen.«
Chris warf einen Blick ins Haus. »Wie geht es ihnen, medizinisch gesehen?«
»Das wissen wir noch nicht. Wir dürfen ihnen nicht zu viel zu essen geben. Die Hälfte von ihnen wirkt auf mich verhungert. Wir müssen ihnen erst einmal kleine Portionen milder Speisen geben, immer nur wenig auf einmal. Stimmt’s?« Sie sah Chris Bestätigung heischend an.
»Stimmt. Und wenn sie kräftiger sind, kann ich feststellen, ob sie Krankheiten oder Parasiten haben. Wer hatte bisher Kontakt zu ihnen?«
»Nur Singer und ich.«
Chris dachte nach. »Gut. Beschränken wir den Kontakt weiter auf uns vier, bis wir wissen, ob es irgendwelche gesundheitlichen Beschwerden gibt. Wenn die anderen Frauen mithelfen wollen, sollen sie sich mit den gleichen Tätigkeiten begnügen wie bisher: Nachschub herbeischaffen und Essen kochen.«
Rosa runzelte die Stirn. »Eine Quarantäne?«
»Nichts derart Strenges. Aber Läuse, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten … Wir müssen ja kein Risiko eingehen.«
»Gut.« Rosa wirkte immer noch übermüdet, aber ihr war nicht mehr schwindelig. Auch ihre Verletzlichkeit war längst verschwunden – an ihre Stelle war eine wilde Entschlossenheit getreten, die aus irgendeinem Grunde wenig mit ihrem üblichen Pflichtbewusstsein zu tun zu haben schien. Als sie den Blick über den Raum mit den acht erniedrigten jungen Frauen schweifen ließ, wirkte sie so unnahbar, wie Chris sie nur je gesehen hatte.
Nahm sie das hier persönlich? Hatte es etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun?
»Was den Test betrifft …«, begann Viv.
Rosa zuckte zusammen. »Welchen Test?«
»Für Gestaltwandler.«
Ein beinahe komischer Ausdruck huschte über Rosas angespanntes Gesicht. Sie hatte noch nicht einmal an die Möglichkeit gedacht. Diese verängstigten, misshandelten Mädchen hatten ihre Verteidigungswälle still und heimlich überwunden.
»Vielleicht wenn sie stärker sind«, sagte sie nicht gerade überzeugt.
»Sieh mal«, sagte Chris, »sie hätten sich doch längst verwandelt. Man kann ihnen nichts Schlimmeres antun, als sie in diesem Transporter einzuschließen. Garantieren kann ich es zwar nicht, aber ich wäre schockiert, wenn eine dieser Frauen sich als Gestaltwandlerin erweisen sollte.«
Rosa ließ die Schultern sinken, wenn auch nur ein wenig. Erleichterung. Verdammt, es gefiel ihm ganz und gar nicht zu sehen, wie sehr sie sich mit dem Leid dieser Frauen identifizierte. Es machte sie zu jemandem, den er beschützen wollte, was sie niemals zulassen würde.
Er widerstand dem Drang, ihr einen Arm um die Schultern zu legen. Stattdessen konzentrierte er sich auf das, was sie wollen und brauchen würde: den Schutz der Stadt. »Kommt Ingrid allein damit zurecht, Wache zu halten?«
»Für den Anfang. Ex respektiert
Weitere Kostenlose Bücher