Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
angreifbar geworden war, dass sie die Unterstützung eines Fremden benötigte. Nur, dass er kein Fremder war – nicht wirklich. Nicht in ihrem Kopf, und auch nicht in ihren Träumen. Die zwei Wochen hätten ihm auch ohne ihre besondere Verbindung die Fremdheit genommen. Rosa klammerte sich an die unerklärliche Überzeugung, dass sie einander kannten und dass ihre Schattenseiten ihn überhaupt nicht stören würden.
Erbarmungslos unterdrückte sie diese Gefühle und wartete darauf, dass die Vorstellung begann. Als Singer mit dem Geschenkkorb kam, schob Rosa ihr geheimes Geschenk unter alle anderen.
Kurz darauf kehrten die Bravos in ihrer traditionellen Kleidung zurück. So, wie Rosa Weiß trug, hatten sie Schwarz und Rot angelegt, um zu symbolisieren, dass sie bereit waren, in ihrem Namen Gewalt zu verüben. Chris fing ihren Blick über die Menge hinweg auf. Er wirkte vollkommen verwirrt, aber er lachte nicht über die Schau, die sie abzogen, und das war äußerst wichtig. Kluger Junge. Er musste so tun, als würde er es ernst nehmen. Trotz des pompösen Drumherums tat Rosa das. Manchmal hatte sie das Gefühl, als ob es das Einzige in ihrem Leben war, was etwas bedeutete.
Für die meisten Leute hatte der Wandel das Ende aller strahlenden und schönen Dinge dargestellt; Rosa hingegen hatte er gerettet.
Sie stand am Rande der Plaza und wartete stumm und geduldig. Die Bravos traten wie ein Mann auf sie zu. Da Chris seinen Eid zum ersten Mal ablegte, ging er voran. Das hinterließ offenbar in Falcos Mund einen schalen Nachgeschmack, aber er hatte keinen Grund, sich zu beschweren. Sie blieben einen Meter vor ihr stehen, und sie nahm ein Räuchergefäß mit Kräuteröl von Singer entgegen, die den Part der geweihten Jungfrau spielte. Rosa hatte dieses Ritual aus alten Filmen und Erinnerungen an die düstere katholische Kirche zusammengestoppelt, in der sie vor so langer Zeit mit ihrer abuela die Messe besucht hatte.
»Kniet nieder«, befahl sie.
Die Männer gehorchten, sogar Chris, obwohl er nicht gerade entzückt wirkte. Aber er wusste, wie wichtig es ihr war. Etwas Heißes ballte sich in ihrer Brust zusammen, als er keinen Widerstand leistete. Es tat weh, aber auf gute Weise. Auf unvertraute Weise. Kein Mann hatte sich je gegen seinen Willen vor ihr gedemütigt, nur weil es für sie wichtig war. Es ließ sie vermuten, dass ihr Cristián nicht wie andere Männer war, die sie gekannt hatte, und dass es nichts schaden könnte, mehr über ihn in Erfahrung zu bringen.
Seit wann betrachte ich ihn denn als »meinen« Cristián?
Sie verdrängte diese geistige Verwirrung, um sich auf die Zeremonie zu konzentrieren. Sie trat vor und zeichnete mit dem Öl ein V auf die Stirn jedes Mannes. Von ihren Fingerspitzen ging der süße Duft von Salbei und Lavendel aus, Pflanzen, die das Klima hier überstanden, wenn man sie gut pflegte.
Dann trat Rosa mit feierlichem Gebaren zurück.
»Christian Welsh, du trittst als Wanderer vor mich. Ich habe die Macht, dir Trost und Zuflucht zu gewähren, solange wir beide leben. Valle de Bravo nimmt alle auf, die mit willigen Herzen und Händen kommen und sich dem Schutz unserer Stadt und meinem Dienst verschreiben. Schwörst du das?«
»Ich schwöre«, sagte er ernst.
Zum ersten Mal fiel es ihr auf, dass sie die Gelübde so abgefasst hatte, dass sie in gewisser Weise wie ein Eheversprechen klangen. Vielleicht hatte sie das sogar unbewusst getan. Jeder Mann, der seinen Eid ablegte, fühlte sich persönlich an sie gebunden. Aber nie in sexueller Hinsicht – zumindest nicht von ihrer Seite. Chris’ haselnussbraune Augen waren dunkel und wissend, als ob er die tiefere Bedeutung ihrer Worte wahrnahm – und als ob sie ihm im Gegenzug selbst etwas versprochen hätte.
Ein Zuhause. Das ist alles.
Die anderen Männer erneuerten ihren Schwur ebenfalls. Sie zeichnete ihre Tätowierungen mit dem duftenden Öl nach, um sie daran zu erinnern, wem ihre Loyalität gelten sollte. Jede sachte, stumme Berührung sollte sie daran denken lassen, wie wenig innere Spannungen ihnen nützten, wenn es doch außerhalb des Tals so viele Feinde gab, gegen die sie kämpfen mussten. Aber sie wusste nicht, ob das Falco etwas bedeutete. Er kochte vor Wut, mit verzerrtem, rot angelaufenem Gesicht, als sie zum Ende kam, denn er hasste es, zum Narren gemacht zu werden, und Chris hatte ihn überlistet.
»Du bist nun mein«, sagte sie zu Chris.
Es war die gebräuchliche Formulierung. Sie hatte diese Worte zu jedem Mann
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