Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
sie ihre Waffe aus dem Oberschenkelholster. Eine Pistole musste nicht groß sein, um aus nächster Nähe töten zu können, und alles Schwerere hätte sie beim Springen und Klettern behindert.
Kleine Magneten in ihren Stiefeln erleichterten ihr die Arbeit ein wenig. Sie hatte sich schon oft gefragt, ob die Fahrer wohl glaubten, dass sie übernatürliche Kräfte hatte, da es ihnen nie gelingen wollte, sie abzuschütteln. Bei dem Gedanken lächelte sie, ließ sich auf den Bauch fallen und legte ihre Sicherheitsausrüstung an. Dann hakte sie die Füße ein, ließ sich kopfüber vor die Fahrertür fallen und zerschmetterte das Glas mit einem stoffummantelten Schlagring.
Mit der anderen Hand brachte sie die Pistole in Anschlag. »Wenn du nicht auf der Stelle sterben willst, hältst du den Laster jetzt an.«
Der Fahrer warf aus dem Augenwinkel einen gehetzten Blick auf sie. Er war kaum mehr als ein Kind, aber das war in dieser schönen neuen Welt nichts Unge wöhnliches. Man tut, was man tun muss. Rosa konnte ihn erschießen, sich aus dem Geschirr ausklinken und sich schnell genug durchs Fenster zwängen, um die Ladung zu retten. Es wäre schließlich nicht das erste Mal gewesen.
Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen ahnte er das auch.
»Ja, Ma’am«, sagte er und stöhnte vor Angst leise.
Vielleicht war das nicht nett, aber da Rosa in ihrer Jugend selbst so machtlos gewesen war, kam seine Reaktion für sie einem Aphrodisiakum sehr nahe. Sie bleckte die Zähne zu einem wilden, auf dem Kopf stehenden Lächeln. »Guter Junge.«
Der Lastwagen wurde Stück für Stück langsamer. Sicher wollte der Fahrer nicht riskieren, dass ihr der Finger am Abzug abrutschte. »Fressen oder gefressen werden« – das war nicht nur ein Klischee. Aber sie würde immer die Oberhand behalten. Die Menschen nutzten die Schwachen aus, dieses Wissen hatte sich ihr schon in ihrer Kindheit ins Gehirn eingebrannt.
Als der Laster anhielt, kamen ihre Männer wieder angebraust. Sie hielt die Waffe weiter auf den Jungen gerichtet, bis Falco die Beifahrertür aufriss und ihn herauszerrte. Sie konnte sehen, dass er genug Angst hatte, um sich in die Hosen zu machen, aber dieser Überfall würde ihren Ruf mehren, und so mahnte sie Falco nicht zur Zurückhaltung. Stattdessen stemmte sie sich mithilfe ihrer steinharten Bauchmuskeln wieder hoch und verstaute ihre Sicherheitsausrüstung, bevor sie sich mit geschmeidiger Anmut vom Wagen schwang.
Ihr Stellvertreter knurrte dem Fahrer leise zu: »Auf den Boden!«
Der Junge tat wimmernd wie geheißen. Er ließ sich mit dem Gesicht voran fallen und legte unaufgefordert die Hände hinter den Kopf. Anscheinend hatte es sich mittlerweile herumgesprochen, dass jeder, der durch Valle-Land fuhr, entweder den Tribut zahlte oder Vergeltung in Kauf nehmen musste. Es machte Rosa nichts aus, als Kriegsherrin zu gelten. Die Angst war gut fürs Geschäft.
Qué padre.
Mit vereinten Kräften brachen ihre Männer, die seit Jahren ein eingespieltes Team waren, den Anhänger auf, wobei sie darauf achteten, sich gegen versteckte Wachen abzusichern. Aber nein, es war gute, saubere Beute, Mineralwasser, Toilettenartikel, Konserven, und das Beste: Alkohol aus der Zeit vor dem Wandel. Sie hatten sich seit Monaten außer tiswin und Agavenwein nichts mehr gegönnt. Die nächste Feuernacht würde wild werden.
Nachdem Jameson die Fracht gesichert hatte, verschloss er die Türen wieder und legte zusätzliche Ketten vor, denn es kam nicht infrage, sich von anderen das Diebesgut wieder abluchsen zu lassen. Besonders Peltz, der Anführer einer brutalen Bande von Staubpiraten, wurde in letzter Zeit zu ehrgeizig und drang immer wieder in ihr Revier ein.
Die Bravos rannten zu ihren Motorrädern.
»Ich lasse dir Wasser und eine Rauchpatrone da«, sagte Rosa zu dem Jungen. »Wenn der nächste von deinen Leuten hier vorbeikommt, benutz sie. Dann sag ihnen, dass diese Straßen mir gehören. Wenn sie Fracht durch mein Revier bringen wollen, müssen sie den Tribut bezahlen, sonst beschlagnahme ich alles.« Sie stieß ihn mit dem Stiefel an. » Comprendes ?«
»Ja«, quiekte der Junge.
»Ich habe auf der Anhöhe da drüben einen Scharfschützen postiert. Wenn du dich bewegst, bevor er bis tausend gezählt hat, bekommst du eine Kugel zwischen die Augen. Zähl lieber langsam.«
Der Junge hatte anscheinend zu viel Angst zu sprechen und nickte nur. Jede Siedlung bediente sich normalerweise professioneller Fahrer, die den Handel mit
Weitere Kostenlose Bücher