Die letzten Dinge - Roman
erfüllen?
Ich will … ich will … so gern noch mal eine Muschi sehen.
Lotta wurde knallrot, umkrallte ihr Tablett so fest es ging und sagte: Also, da kann ich jetzt wirklich nicht mit dienen, also Kaffee und Brot und Fisch, … alles, … aber so was … das tut mir ehrlich leid, Mann. Ich muss jetzt mal gehen.
Ja, sagte Kurtacker. – Du bist ein schönes Mädchen.
Lotta lief hinaus und drehte den Schlüssel dreimal um.
Kurtacker! Das nächste Mal sollte Gianna hineingehen. Oder Rosalinde. Oder Nadjeschda. Oder Ivy. Ivy. Wie mochte es ihm wohl gehen? Unwillkürlich arbeitete Lotta wieder schneller, beeilte sich, damit der Schaden von Ivy nicht so groß war, vielleicht konnte sie irgendetwas tun, es war schließlich nicht nötig, dass die Nachttische geschrubbt wurden, wenn sie nicht richtig schmutzig waren. In der Zeit konnte sie auch jemandem auf die Toilette helfen, für Rosalinde die Betten machen, Frau Norken etwas zu trinken geben, das musste doch gehen, das ging doch, das konnte man doch mal machen. Lotta spürte den leichten Schweißfilm, die Waden, die jeden Tag dicker wurden, Druckstellen an den Knien, den weichen Knien, die heute nicht ausruhen durften. Niemand machte heute eine Pause.
Bist du noch zu retten?, hatte die Mutter gesagt. Du kannst doch nicht deine Zeit damit vergeuden, im Altersheim den Dreck wegzumachen. Du weißt doch, dass du da nur ausgenommen wirst und nichts verdienst und eine Ausbildung hast du immer noch nicht! Einfach nach England abhauen und dann hier … so was! Du musst dich doch mal bemühen, was aus deinem Leben zu machen!
Ja, hatte Lotta der Einfachheit halber gesagt. Mit Ja kam sie am besten durch.
Das ist doch nichts, da in dem Heim, wer will denn so was schon machen! Da wird man doch nur ausgelaugt und depressiv, das ist doch entsetzlich!
Och, geht eigentlich. Ist eigentlich ganz interessant.
Interessant?! Und wie das da riecht!
Och. Geht eigentlich.
Lotta dachte an Rosalinde. Fand es irgendwie gut, wie sie sich da durchkämpfte. Es ging so richtig um Leben und Tod. Last Hero Rosalinde. Und erst Ivy. Da war von Tod rein gar nichts zu sehen, im Gegenteil, das pralle Leben, der riss alles um. Ivy mit der zerdetschten Nase.
Und eben, als sie an ihn dachte, bog er aus dem Fahrstuhl um die Ecke, mühte sich an drei Rollstühlen vorbei und hielt sich mit beiden Händen die Nase. Es war halb elf.
Ou Lotta.
Mensch Ivy, was hast du denn gemacht?
Nix, gar nix habe ich gemacht. Ich bin unschuldig. Ist Rosalinde da? Ich brauche dringend was gegen die Schmerzen, das tut ja dermaßen weh, ou fuck.
Ja ja, ich gehe mal schnell gucken!
Lotta rannte zu Herrn Bellheim, wo Rosalinde den nassen Waschlappen in der Schüssel kräftig auswusch.
Rosalinde! Ivy ist gerade gekommen und es geht ihm nicht gut und ob du ihm was gegen die Schmerzen geben kannst!
Rosalinde erbebte, nahm den Lappen und klatschte ihn in das Waschwasser, dass es nur so spritzte.
Na, der kann was erleben, den nehme ich mir zur Brust, dieser unausgegorene Lümmel, uns hier so im Stich zu lassen und zu raufen und zu saufen …
Im Sturmschritt lief Rosalinde auf ihn zu, zehn Meter, zwanzig Meter, fünfzig Meter lange Flure, so lange hielt kein Sturmschritt, Rosalinde verlangsamte irgendwann, ganz am Ende wartete Ivy mit dem bräunlich getrockneten Blutshirt und der fleckigen Jeansjacke. – WAS WILLST DU?
Tach Rosalinde, tut mir echt leid, ich bin da in was reingeraten …
Du gerätst IMMER in was rein!! Was TREIBST du denn da eigentlich?? Hast du dich mal gefragt, wie es uns hier geht! Hast du dir mal EINEN Augenblick lang überlegt, dass Sarah krank ist und Kevin im Urlaub, weißt du, dass wir zu zweit hier rumgegondelt sind und wenn Lotta nicht gewesen wäre, hätten wir kaum einen aus dem Bett gekriegt! Weißt du, dass Herr Notnagel den ganzen Tag kaum einen Tropfen getrunken hat und Herr Klingel schon wieder aus dem Stuhl gestürzt ist und dass Frau Wilhelm noch in ihren Windeln liegt seit heute Nacht um vier? Und da kommst du und …
Ja ja! Schon gut … ist ja schon gut.
Ivy sank an der Wand herunter und hielt sich den Kopf.
Ich wollte nur fragen, ob ich ein wenig Tramal …
Ist das der einzige Grund, warum du kommst? Nur wegen Schmerzmittel? Nur weil es DIR schlecht geht? Wenn du die Nase nicht schon angeknackst hättest, würdest du von mir noch eine draufkriegen. Das kann ich dir flüstern!
Ich kann doch nichts dafür, dass Sarah immer krank macht.
Nein … nein, kannst du
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