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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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nicht.
    Rosalinde erschöpfte sich im Schimpfen, rang nach Luft. – Es ist ja nur, weil die Heimaufsicht kommt. Wie soll ich denn so eine Station vorzeigen? Mir kann ja auch niemand helfen, überall fehlen Leute, wenn ich auf der anderen Station nachfrage, dann lachen die nur. Ich wollte heute mal die Papiere machen, die Kadexe, das kann ich vergessen. Wenn die Heimaufsicht kommt, machen sie uns dicht. Man kann es ihnen nicht verdenken.
    Ja, sagte Ivy lahm.
    Hol wenigstens Windeln aus dem Keller, hier oben ist keine einzige mehr. KEINE EINZIGE! Lotta, geh mit ihm, allein fallen die Pakete immer aus dem Wagen, ich kann einfach nicht mehr, Himmel hilf, Gott, gib mir Kraft, Ivy, wie KONNTEST du mich nur so im Stich lassen.
    Rosalinde ging davon, das Schmerzmittel hatte sie vergessen.
    Ivy trollte sich, nahm mutlos den scheppernden Aluwagen und zog ihn Richtung Fahrstuhl, hielt sich mit der anderen immer noch die Nase. Lotta hatte aufgepasst, sie wusste, dass die Tür zum Medizinschrank offen war, denn sie hatte gesehen, wie Rosalinde weggeholt worden war, als sie einen neuen Katheterbeutel herausholte. Sie eilte schnell ins Stationszimmer, griff nach der Flasche Tramal und schüttete Hals über Kopf einen halben Pappbecher voll. Tramal. Das war ein gutes Medikament gegen alle Schmerzen dieser Welt. Knochenschmerzen, Kopfschmerzen, Seelenschmerzen, alles. Wer konnte, der nahm Tramal. Machte süchtig. Egal. In diesem Fall. Sie stahl sich wieder aus dem Zimmer und rannte Ivy hinterher. Stolperte ihm nach in den Fahrstuhl und fuhr mit ihm ins Untergeschoss.
    Habe dir Tramal mitgebracht.
    Oh, das ist echt Klasse von dir … Echt Klasse.
    Ivy nahm den Pappbecher und sie sah, dass er Tränen in den Augen hatte. Sagte nichts, sah ihn einen großen Schluck nehmen, ihr männlich den Rücken zukehren und als sich unten die Fahrstuhltür öffnete, stürzte er los durch die dunklen Flure bis hin zu einem holzvergitterten Keller, der mit einem einfachen Fahrradschloss gesichert war. Ivy machte auf, fluchte über das kleine Schloss, riss beinahe die Tür aus den Angeln, ging in den schwach beleuchteten Verschlag und schloss hinter sich und Lotta die Tür.
    So, was brauchen wir denn, sagte er undeutlich mit irgendwie verschwollenem Gaumen. – Erst mal Größe zwei, die brauchen wir am meisten.
    Vor ihnen ragten hohe Türme von Windeln hinauf, Moltex, Pampers, Einmalhosen, Einlagen, Unterlagen, alle Größen, alle Farben und aus aufgerissenen Kartons quellend.
    Wir müssen die auch zählen, murmelte Ivy, zog zwei Pamperspakete aus dem Stapel und wollte sie auf den Aluwagen werfen, sie landeten daneben. Ivy hielt inne, drehte sich zur Seite und endlich sank er auf einen Windelstapel. Oh Gott. Lotta sah sich verstohlen um. Durch die schmalen Holzlatten schwach beleuchtet sah man nebenan verschlissene Sofas, alte Sessel, Tische, Stehlampen, die Katakomben eines Heimes mit den aussortierten Dingen verstorbener Menschen. Die Leichenhalle sei auch hier unten, hatte Gianna gesagt. – Ligge die Tote in Keller.
    Möbel, Windel, Tote. Alles auf einer Ebene. Ivy hatte angefangen zu schniefen, als versuchte er, Luft zu holen durch die zerbrochene Nase.
    Du bist ganz schön verpeilt, oder?, flüsterte Lotta halblaut.
    Ivys Kopf sank immer tiefer und endlich stürzten die Tränen über sein geschundenes Gesicht.
    Das hätte jetzt nicht kommen dürfen. – Von Rosalinde zur Sau gemacht. Das … das war echt zu heavy.
    Alles und alles stieg in ihm auf, das Bildnis vom knutschenden Fredderik, der sich drehte mit dem fremden Mann, ein tanzendes, knutschendes Paar, dann spürte Ivy sein zerschlagenes Gesicht, die höllischen Schmerzen, dachte an den unfreundliche Arzt und Rosalindes Strafpredigt. Er schluchzte plötzlich, sein machtvoller, sorgfältig trainierter Brustkorb bebte, das Übel der Welt brach aus ihm heraus.
    Oh Gott, flüsterte Lotta. Sie war erschüttert. Wie einen solchen Berg trösten? Wie ihm nahe kommen, wie ihm sagen: Aber immer immer wieder geht die Sonne auf? Oder: Heul dich aus an meiner Brust? So viel Brust hatte Lotta gar nicht, so breite Schultern, dass Ivys schwarzer Kopf daran hätte liegen können … Auch das ging nicht. Ihn erst mal heulen lassen? Der Bauch, fiel ihr als Einziges ein. Ihr Bauch. Lotta legte beide Arme um seinen Nacken und drückte seine Wange an ihren weichen Bauch. Eine Weile konnte er gar nicht reagieren, so sehr war er in seinem Schluchzen gefangen.
    Es war der Fredderik, sagte er. Der Fredderik. Der

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