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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Augenblick hatte sie gar keine Angst. In der Jutetasche war alles, was sie brauchte: ein schwarzes Kreuz mit einem silbernen Jesus zum Aufstellen, ein Fläschchen mit Weihwasser und ein Schälchen dazu, ein Bildnis von der Jungfrau Maria in einem goldenen Rahmen. Und außerdem ein Kranz Knoblauch, man wusste ja nie.
    Madonna Santa, betete Gianna unaufhörlich, verteilte das Kreuz, die Jungfrau und das Schälchen Weihwasser oben auf den Schrank, auf die Fensterbank und etwas versteckt unter die Nähmaschine. Es durfte nicht so offensichtlich sein, hier liefen zu viele Ungläubige herum, die konnten alles wieder wegnehmen und in den Keller schaffen zu den Überbleibseln der Dahingeschiedenen. - Santa Maria, bete für diese arme Seele, die erumspukte und findet keine Friede. Bete für die Seele, die sich at verfloge. Sei barmherzig, gütiger Gott. Sie ate nichts getan, sie iste nur ein arme Seele, sie brauchte deine Ilfe, ich kann nicht elfe, sie iste ganz allein und weiß nichte, wo ingehört … oh bitte, nimmst du die Seele mit nack Ause. Und elfe, dass wir misse nicht mehr so schwer arbeite, wir macke immer keine Pause, das zu schwer. Das ich wollte dir sage. Deine treue Dienerin Regiannini, Gianna.
    Sie bekreuzigte sich dreimal, überlegte, ob sie noch eine Kerze aufstellen sollte, aber dann brannte womöglich das Heim ab. Ging sie lieber zu Frau Norken, das Essen anreichen, und verdrückte heimlich unterwegs ein Marmeladenbrötchen vom Speisewagen. Schließlich musste sie bei Kräften bleiben und das ging keinen was an. Getröstet ging sie wieder die Treppen herunter, mit dem wohltuenden Bewusstsein, dem Schicksal eine Wendung in die richtige Richtung gegeben zu haben.

Der Nachmittagskaffee   war schon vorbei. Frau Wissmar hatte kaum Gelegenheit gehabt, ihn zu trinken, denn sie hatte Dringendes vor.
    Geben Sie mir meinen Mantel!, sagte sie freundlich, aber bestimmt.
    Was für einen Mantel? fragte Kevin. Kevin allein zuhaus. Der Pfleger mit den rötlichen Haaren und der blassen Haut, der aussah wie der Junge aus dem Film. Kevin aus Dresden, der für einen dürftigen Arbeitsplatz im Pflegeheim alles verlassen hatte.
    Ja, meinen Lodenmantel!
    Wollen Sie uns verlassen?
    Ich habe einen dringenden Termin!
    Kevin überlegte, sollte er ihr wirklich den Mantel geben? Sie durfte doch nicht aus dem Haus, sie kam keinen Meter da draußen zurecht. Aber vermutlich hatte sie in fünf Minuten vergessen, was sie wollte. Er öffnete den dreitürigen Kleiderschrank, nahm den dunkelgrünen Lodenmantel heraus und legte ihn ihr über die Knie.
    Was haben Sie denn so Dringendes vor?
    Ich, nun … ich möchte eigentlich nicht darüber reden … aber … ich habe ein Vorstellungsgespräch bei der Degussa. Hoffentlich ist diese Bluse gut genug.
    Oh, Sie wollen sich vorstellen? Eine neue Arbeit?
    Ja, … ja … jetzt – bitte lassen Sie mich vorbei, ich muss los, ich bin schon viel zu spät. Unpünktlich beim Vorstellungsgespräch! Das wäre das Schlimmste! Undenkbar.
    Kevin öffnete die Tür und Frau Wissmar legte ihre schlanken, gespreizten Hände auf die Räder und fuhr mit mageren Armen los. Ihren Kopf musste sie nach vorne beugen, als käme sie dadurch schneller voran, auf ihrem Schoß lagen die Einladung zum Vorstellungsgespräch und der Mantel.
    Wenn ich nur wüsste … nur wüsste, wo es ist.
    Die Degussa? Die ist doch da … Richtung Industriegebiet, oder?
    Das ist es ja, es ist zu weit! Es ist vielleicht zu weit! Ich kann es nicht finden!
    Ja, Frau Wissmar, denn gucken Sie mal, ich muss weiter, ich bin mit Nadjeschda allein. Fahren Sie doch ein wenig zum Sotzbacher Mädchen, das wackelt ooch alleins darum.
    Wo denken Sie hin! Ich muss doch los, muss doch los …
    Und fieberhaft schob sie die Räder an, beugte ihren Oberkörper vor, als könnte sie auch damit den Rädern einen Schub geben, fuhr mühselig bis zum Fahrstuhl, am Fahrstuhl vorbei, kurbelte dann wieder zurück, stellte sich vor den Aufzug und wartete.
    Wenn ich es nur finde. Wenn ich nur nicht zu spät bin! Es ist ein guter Arbeitsplatz. Aber wenn er zu weit weg ist! Zu weit weg!
    Mit schweren Schritten kam von hinten jemand auf sie zu.
    Aber Frau Wissmar! Was machen! Wolle Sie weggehen, Frau Wissmar?
    Nadjeschda legte ihre Hand auf Frau Wissmars Schulter.
    Ich muss zu einem Vorstellungsgespräch, sehen Sie? Da oben ist die Adresse. Sie deutete auf ihre Einladung und reichte sie Nadjeschda. Diese las aufmerksam: … Samstag: Gemüseeintopf. Sonntag: Rouladen. Montag:

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