Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
bin ein Walross!
    Du bist ein Walross und du bist obendrein ein altes Schwein, sagte das Sotzbacher Mädchen. – Und außerdem hängt DEIN Würstchen schon nach hinten und frisst Senf.
    Mutter!, schrie die Tochter entsetzt. – Was redest du denn da?!
    Das Sotzbacher Mädchen aber hatte von allem genug. Es stand würdevoll auf, klopfte den Stock auf den Boden und erhob das Haupt.
    Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken, sagte es und verschwand. Die Tochter aber blieb fassungslos zurück.
    So hat sie früher nie gesprochen. Niemals. Heidenei.

Ein Morgenwind   wehte durch den goldgelben Lappen vor Lottas Fenster und blies ihr ein schönes Lüftchen um die Nase. Es fiepte, der Wecker ging los. Halb sechs. Zu dieser Zeit ging Nadjeschda frierend an die Bushaltestelle, schmierten die Küchenfrauen schon die Brote für die Schulkinder, setzte sich Schwester Rosalinde die erste Insulinspritze und drehte Lotta sich immer noch mal um. Aber heute ging das nicht. Sie sah hoch zu ihrem Bett und da lag ein großer, ausgewachsener Mannskerl drin. Er schnarchte ein wenig durch einen verkrumpelten Verband hindurch, seine Stirn glänzte, da schlief er, endlich, nachdem er sich bis in die Morgenstunden gewälzt hatte und hier und da etwas gemurmelt, die Bettdecke um sich geworfen, sich gekratzt überall und immer wieder aufgestanden und ins Bad gegangen war.
    Lotta hatte auf der Isomatte geschlafen. Jetzt stand sie auf und rüttelte Ivy an der Schulter. Zart. Dann fester.
    Ivy … Ivy … du musst aufstehen. Du musst dir noch Klamotten holen. Oder … Du kannst auch ein weißes T-Shirt von mir anziehen, ich habe noch eines in L, das spannt ein bisschen, aber das hast du doch gerne, oder …?
    Der warme, stabile Männerarm, der vor ihr angewinkelt lag. Lotta schluckte. Das Nackenhaar, sonst so sorgfältig wegrasiert, schimmerte schwarz durch die Poren und schob sich aus der Haut, die atmende Brust, sie konnte womöglich einen Reifen sprengen, einen Reifen von einem Weinfass, oh Ivy.
    Du musst aufwachen, Ivy, wach auf! Wir müssen arbeiten gehen!
    Ein Weilchen dauerte es noch, Ivy mochte einfach nicht auftauchen. Mit Leibeskräften hielt es ihn in der Versunkenheit, bloß nicht hinauf. Bloß nicht hinauf in den schweren Tag. Morgenstund hat Blei im Mund. Ach, murmelte Ivy … ach was. Lass noch … mal ’n Moment …
    Aber Ivy …
    Lotta rüttelte und drückte an dem schweren Mann, der plötzlich in Bewegung kam, sich umwarf und die Decke höher zog und wieder zu schlafen schien. Zu schlafen, aber da kam ein leiser Strom von Worten geflossen …
    Lotta …, flüsterte Ivy. – Lotta …, ich kann nicht arbeiten gehen … es tut alles noch so weh … ich muss hier bleiben …
    Lotta glaubte nicht recht zu hören.
    Was?? Ivy?? Ivy … das geht nicht! Das geht auf keinen Fall! Auf GAR KEINEN Fall! Rosalinde hat niemanden, nur Gianna und mich und ich kann nicht deine Arbeit tun, Ivy, ich habe das nicht gelernt und ich muss die Wäsche machen und die Nachttische und alles. Und Rosalinde braucht deine Hilfe! Hast du denn nicht gehört, was sie gestern gesagt hast, wenn du nicht arbeiten gehst, dann fällt sie um, wenn du nicht gehst, bleiben wieder alle in den Betten liegen, Ivy bitte, ich helfe dir auch, ich helfe dir, ich kann Frau Wissmar waschen und anziehen, das habe ich gestern schon gemacht, ich kann Frau Schlecker machen oder das Sotzbacher Mädchen, wenn du nur den Herrn Wickert machst oder so welche … Ivy, BITTE!
    Ivy murmelte gequält und mit geschlossenen Augen. -Aber ich bin so fertig …
    Rosalinde ist noch viel fertiger! Du wolltest ein besserer Mensch werden, hast du gesagt, dann geh doch bitte arbeiten, bitte, bitte, sieh mal, ich habe dir alles gegeben, was ich hatte, und für dich gekocht und auch noch auf der Isomatte geschlafen, bitte Ivy, bitte, du MUSST arbeiten!
    Ivy blies sich einen Verbandsfussel von der Nase.
    Aber mein Herz ist gebrochen.
    Meins auch! Steh auf!
    Meine Nase ist gebrochen …
    Du musst nicht mit der Nase arbeiten, nur mit den Oberarmen.
    Und Lotta nahm seinen Arm und zerrte und schleppte mit all ihrer Kraft den schweren Ivy von der Matratze, das konnte sie noch, das hatte sie geübt, jahrelang an einem betrunkenen Industriearbeiter aus Manchester. Bevor Ivy vom Bett fiel, konnte er sich eben noch abstützen, kam hoch, suchte benommen nach einem Halt … rappelte sich nach einer Ewigkeit auf und stieß mit dem Kopf an die schräge Decke.
    Aua … auch das noch … ich bin verflucht auf dieser

Weitere Kostenlose Bücher