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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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behielt, den Tropfen, den er verweinte. Wie sollte Rosalinde all das zählen? Gott hat ein Tränenkrüglein. In dem werden alle Tränen gesammelt und gezählt. Aber Rosalinde war nicht der liebe Gott und vom stummen Zählen wurde ihre Zunge taub.
    Nachts lag sie wach im Bett und sollte Schäfchen zählen, aber das konnte sie nicht, dann begann sie die Wolken zu zählen, die am Fenster vorüberzogen. Und so lag sie wach und konnte nicht schlafen, lag jede Nacht und machte sich Gedanken und sah in den Mond, sie konnte nicht schlafen, konnte nicht schlafen und schlief nicht, Rosalinde schlief niemals mehr.
    Da hörte sie einen schweren Schritt auf dem Gang, etwas rumpelte, jemand schien auf jemanden einzuflüstern, wer war das? Rosalinde spähte durch die angelehnte Tür. Gottlob. Gottlob. Es war Ivy. Ivy war wieder da. Dem Himmel sei Dank. Die kleine Lotta lief hinter ihm her und quasselte immerzu auf ihn ein. Ivy war da, gottseidank. Beim Anblick seiner breiten Brust und der Oberarme beruhigte sie sich, allein das Bild gab ihr Kraft, gab ihr sogar etwas Bewunderung, es ließ sie aufatmen. Nur seine Nase. Aber das war egal.
    Hee!, rief sie und winkte ihn herbei.
    Oh Ivy, ich bin so froh, dass du da bist.
    Du hast keine Ahnung, wie ich mich hierher gequält habe und was für Schmerzen ich habe.
    Du bist großartig. Wirklich. Einfach toll. Komm her, du Lümmel, setz dich hin, wie siehst du nur aus, ich mache dir jetzt mal ein ordentliches Pflaster über die Nase. Wo treibst du dich auch nur rum.
    Ivy atmete tief ein, zwinkerte Lotta zu und war irgendwie stolz, irgendwie doch froh, weil er hier auftauchte, trotz seiner Schmerzen, und alles rettete. Das war doch schon irgendwie gut von ihm. Es ging ja nicht ohne ihn, irgendwie war das doch … sehr gut. Er sah Lotta an und Lotta lachte auch … Tja, dann … dann werden wir mal gründlich aufräumen heute.
    Da wäre ich dir wirklich sehr, sehr dankbar, sagte Rosalinde. – Es gibt so viel zu tun. Wie immer.

Klatschnass   vom vielen Duschen, schleppte Gianna zwei Arme voll feuchter Handtücher und Bettwäsche über den Gang. Sie war sehr stolz darauf, Frau Wissmar geduscht zu haben. Es war nicht leicht, eine so dünne, verbogene Frau unter den Wasserstrahl zu halten, vor allem, wenn sie nicht wollte und sich sträubte und das Wasser am frühen Tag ihr ein einziger Graus war. Gianna hatte sie heben müssen, aus dem Bett in den Stuhl, vom Stuhl auf die Toilette, dann war das Wasser an ihr heruntergeperlt und die nassen Haare hatten sich auf dem Kopf geteilt und ihr Gesicht mit schwarzen Ranken umgeben -puh, hatte sie gesagt – puh, ich habe doch gar keine Zeit, ich muss doch auf die Arbeit gehen! Ich habe doch gar nicht – eingewilligt in diese Prozedur!
    Gehte nich anders, Frau Wissmar! Müsse schön sauber sein auf die Arbeite, guck mal, ich abe auch kein Zeit und geh doch dusche mit Ihne. Gucke, schon vorbei!
    Frau Wissmar hatte nun ihre kraftlosen Füße auf den Rollstuhltritt gezwängt und war beleidigt. – Ich möchte nicht den Wert Ihrer Arbeit irgendwie … in Frage stellen, es ist nur so, … dass ich doch diese Maßnahme anordnen muss, es kann doch nicht sein, dass ich quasi genötigt werde …
    Gleich gibte Frühstück, Frau Wissmar. Dann Sie abe alles vergesse. Guck mal, Kaffee riecht schon, kleine Lotta kommt und bringt schönes Essen. Dann iste Welt wieder schön.
    Hm … ich weiß nicht …
    Gianna beeilte sich, die Berge von Wäsche in die Säcke zu stopfen, es war halb neun. Wenn sie schnell machte, dann war sie gleich wieder da und konnte beim Essen anreichen helfen. Am besten verschwand sie jetzt auf der Stelle. Gianna hatte alles vorbereitet. Sie lief zu ihrem Spind, schloss auf und holte eine Jutetasche voller Sachen heraus, dann schloss sie wieder zu und lief davon und die Kellertreppe hinauf. Morgens um halb neun war garantiert kein Gespenst unterwegs. Um die Zeit spukte kein ordentlicher Geist. Also konnte Gianna ungestört ihre Vorbereitungen treffen. Die Tür zur Kleiderkammer war offen, niemand da, gut, wunderbar. Gianna schloss die Tür hinter sich und machte Licht, es war ein so regnerischer Tag -und Licht vertrieb die Dunkelheit und alle finsteren Mächte. Eigentlich war es ganz gemütlich, hier oben, so traulich unterm Dachjuchhee, die Nähmaschine auf dem Tisch, die Kleider der Verstorbenen, die so ruhig und friedlich hingen. Wenn es hier ein Gespenst gab, dann musste es eigentlich ein guter Geist sein, überlegte sich Gianna. Im

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