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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Mal. Sein Gesicht brannte noch, aber sein Kopf war wieder klar, er konnte wieder denken, wenn man das als Denken bezeichnen konnte, nein, er dachte nicht, er musste ihn finden, Fredderik finden, und ihn zur Rede stellen und ihm eine donnern, ihm eine reinwürgen, ihm eine brutal runterhauen, … aber doch nicht so fest, nur nicht so fest, dass es ihn auch zerschlug, dass es ihm wehtat, das war nicht fair, Gewalt nicht mit Gewalt vergelten und doch, doch, hatte er es verdient, der Fredderik, man musste ihm seine Grenzen zeigen, dem Wüterich, dem gefährlichen Liebschaftensammler! Ihn einmal noch im Fleisch bezwingen, ihn noch einmal gefügig machen, ihn einmal am Schlafittchen packen und Blut zu Blut und Haut zu Haut und Mund zu Mund … Wenn er herausgefunden hatte, wo er war, dann konnte Fredderik was erleben, dann konnte er sich auf was gefasst machen, eine Racheorgie, eine mörderische Strenge, einen Vergeltung, Vergeltung bis zum Äußersten, bis zum äußersten Verlangen, bis er auf Knien winselte, bis er um Schläge bettelte, oh Fredderik! Ich will dir das Maul zuschanden machen, das dich so treibt!
    Ivy fuhr sich über die Stirn und seine Augen glänzten übermüdet. Der Türsteher. Der Türsteher hatte sie auch verdient. Aber erst musste er nach Hause. Schlafen. Ein wenig schlafen, nur nur ein bisschen … nur eine Mütze voll, … eine Hand voll … Ivy ging die verregnete Straße entlang und wäre beinahe in die Autos gelaufen. Ob er sich bei dem Türsteher blicken lassen konnte, heute Nacht? Wenn der ihn anzeigte, durfte er womöglich nie wieder in die Disco. Es war Fredderiks Lieblingsdisco. Und außerdem wusste Ivy beim besten Willen nicht mehr, was er selbst angestellt hatte, bevor es ihm die Nase zerschmetterte. Vielleicht sollte er lieber nicht zu ungestüm vorgehen. Ivy musste an sein Handy. Dringend an sein Handy. Kaum war er daheim die Treppen hinaufgestiefelt und hatte seine Wohnung aufgeschlossen, da stöpselte er schon den Akku ein und lud. Pin eingeben. 2345. Mit Schwung und einem leisen Jauchzen kehrte Leben in das elektronische Ding ein, … dann … Moment … Moment … Pünktchen … Pünktchen … Die Stirn wurde feucht und die Finger wurden klamm, die wehe Nase juckte. Da blinkte das kleine Briefkuvert auf. Eine SMS! Von Fredderik. Es durchfuhr ihn heiß und kalt und gleichzeitig war er endlos erleichtert, so erleichtert, dass er sich auf das Bett fallen ließ. Mein Gott, Fredderik. Er hatte ihn nicht vergessen, er war ja da, da für ihn. Was hatte er geschrieben?? Da: Hey Ivy, wo bist du? Gab wohl Ärger mit Jeff. Melde dich mal. F.
    Ja. Gab wohl Ärger. Enttäuschung warf Ivy neuerlich in die Federn. Eine so banale SMS nach einem solchen Weltuntergang. Einfach furchtbar! Hatte man ihm denn nichts gesagt? Gar nichts? Hatte kein Vogel ihm gezwitschert, wie sehr er gelitten hatte? Welche Kämpfe er gekämpft und welche Demütigung er erlitten? Dass man ihn blutig geschlagen hatte – seinetwegen!! Seinetwegen!!
    Das konnte doch nicht sein. Das war die nächste neunschwänzige Katze. Das war eine Grausamkeit, eine solche Grausamkeit, das war das Ende. Ivy war am Ende. Kein Verständnis. Kein Mitleid. Kein Interesse.
    Stunden lag Ivy mit offenen Augen auf der Matratze. Über ihm das weiße Moskitonetz, das er einmal im Sommer aufgehängt hatte, freilich ganz ohne Mückenplage, der weiße Stuck, den sie mit Styropor an der Decke befestigt hatten, mit Patrick, mit Patrick war das noch gewesen. Die Tür zum Flur stand offen und der Strahl vom Flurlicht wurde immer heller, das übrige Zimmer immer dunkler.
    Da hatte ja Lotta mehr Verständnis gehabt, sie, die keine Ahnung hatte, sie hatte so viel Mitleid mit ihm gehabt, dass sie eine Träne vergossen hatte. Eine echte. Kann sein, dass die Träne auch ihrem Verflossenen gegolten hatte, dem Kerl aus Manchester. Kann sein, dass Lotta geheult hatte, weil sie so allein war unterm Dach des Pflegeheimes. Kann sein, dass sie einfach so eine Anwandlung hatte, Frauen hatten manchmal so was, wenn, … Frauen. Sie waren ihm so fremd geworden. Aber Lotta war sehr nett. Ein anderer Mensch als dieser ignorante Fredderik, … Fredderik … der Name verlor seinen Glanz, der Name hatte Buchstaben wie ein schmutziger Lattenzaun, er war auf einmal wie Stacheldraht, nein, wie ein nasser Heuhaufen im Morgengrauen, war wie eine Schale dreckigen Wassers für die Hühner im Dorf von Kroatien … Ivy wollte das rechte Wort nicht einfallen.
    Schlimmer als der Kuss war

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