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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Baumwollbluse, die vom Schnitt und von der Machart von Esprit hätte sein können und die ihr so, wie es aussah, ausgezeichnet stehen musste. Aufgeregt wühlte Lotta weiter. Da … ein paar uninteressante Hosen, da … Wollröcke … nein, das war alles nichts. Aber hier. Diese gehäkelte Strickjacke war doch super. Natürlich, die Trachtenknöpfe musste man ersetzen, aber so im Prinzip konnte die auch aus einem ganz modernen Shop stammen und sah sehr gut aus zu der Bluse. Sogar so gut, dass man den Zustand der Jeans gar nicht mehr so sah. Perfekt. Aufgestickte lustige Bäumchen, sehr schön. Wunderbar, um Eltern zu besuchen. Wieder sah Lotta etwas Weißes in den Augenwinkeln und sie wischte sich die Nase. Vielleicht bekam sie grauen Star.
    Sie drehte sich schnell um und lief davon und es war ihr, als folgte ihr ein weißer Schatten. Ein weißer Schatten! Dieses Zimmer hatte wirklich sehr seltsame Lichtverhältnisse! Vielleicht hing da draußen irgendwo ein Spiegel, eine Satellitenschüssel, ein Windfang, der das Licht so in den Raum warf. Egal.
    Lotta lief dem weißen Schatten davon und zog sich in ihrem Zimmer rasch um. So, jetzt sah sie besser aus. Vielleicht sollte sie die Haare ein wenig toupieren, dann hingen sie nicht so platt. Und ein wenig Lippenstift auf die Wangen. Das half auch. Tja. Und mehr konnte man jetzt nicht mehr retten. Lotta war eigentlich ganz zufrieden. Wenn nur der Anlass nicht gewesen wäre! Nach Hause fahren. Schrecklich! Den Eltern begegnen! Furchtbar! Hätte sie bloß nicht so einen Bockmist angestellt, einen solchen Blödsinn!
    Aber was war es denn für ein Blödsinn gewesen?
    Sie war der Liebe gefolgt, war denn das so schlimm, himmelherrgottnochmal?
    Für sie nicht, nur für die Eltern. Für die Krankenkasse. Für den Chef der Rehaklinik. Für die Steuer und die Versicherung. Die Umstände und die Blamage im Dorf, Kind durchgebrannt mit einem wildfremden Kerl.
    Na gut. Na gut! Wenn sie es nur schon hinter sich hätte!
    Lotta bemühte sich vor dem Spiegel, strahlend auszusehen. Fröhlich. Selbstbewusst. Oder sollte sie als Büßerin erscheinen? Am besten erschien sie überhaupt nicht.
    Das war das Allerallerbeste!
    Dann war es genau 14.30 Uhr. Ihr war, als höre sie es hupen, unten vor der Tür, viele Stockwerke tiefer. Das war nur Einbildung, aber trotzdem. Dieses Hupen ließ den Klumpen in ihrem Magen noch tiefer rutschen. Es half alles, alles nichts. Lotta musste gehen. Sie nahm die Tasche, ein paar Blumen, eine Henkeltasse mit Londoner Motiv und einen Aschenbecher aus Manchester als Geschenk. Damit man irgendwas in der Hand hatte.
    Wie gut, dass sie wenigstens eine so schöne Strickjacke hatte. Da fühlte sie sich geschützt, bestärkt und gut gerüstet.

Jewgeni Schiwrins Lippen   blieben jetzt immer halb geöffnet.
    Es war, als sollte der Atem nur noch auf einfachstem Wege in die Lungen gelangen, ohne Widerstand, nicht einmal mehr die Lungen heben müssen, sondern nur noch hinein- und hinausfahren, wie der schwache Hauch an einem windstillen Tag.
    Er lag gekrümmt, hielt sich die Rippen, die sich rhythmisch zusammenpressten, in Krämpfen und Anfällen, als gäbe es noch etwas aus ihm herauszuquetschen. Aber da war nichts mehr. Was immer sich in Schiwrins Kopf gestohlen hatte, vielleicht ein verirrter Gedanke, ein falsches Wort, es hatte sich mit einem anderen verirrten Gedanken, einem falschen Wort zusammengetan und diese hatten ein Wölkchen gebildet und aus dem Wölkchen war ein Klümpchen geworden und das war zu einem Klumpen gewachsen und von dort hatte der wachsende, sich nährende Klumpen seine Ableger in den Körper geschickt. Von innen heraus wurde Schiwrin sein Leben ausgetrieben, sein Gedärm, sein Fleisch, seine Organe in Fäulnis verwandelt und maßlos ausgeschieden, bei Tag und bei Nacht und in jeder erbärmlichen Stunde seines Tages, das letzte lebendige Gewebe, die letzten gesunden Zellen wurden ihm von den Knochen getrieben und schwammen sickernd an den Beinen aus dem offenen Fleisch heraus.
    Aber wos, sagte Nadjeschda. – Uui uui. Muss ich dich umdrehen. Kannst du das helfen?
    Oichee, flüsterte Schiwrin. – Oichee.
    Es schien, als müsste ihm vom Umdrehen der Atem ausgehen, umdrehen, eine schier übermächtige Anstrengung. Nadjeschda beugte sich über ihn und schob ihre Hände unter seinen Rücken, drehte ihn vorsichtig zur Wand und wartete einen Augenblick, bis sein Stöhnen leiser wurde. Dann tupfte sie den breit mit Kot verschmierten Po ab, zog die volle

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