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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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gespuckt hätte, er musste sich an der Kiste aufstützen.
    Jesses, sagte das Sotzbacher Mädchen. Habe ich mich erschreckt.
    Dann himmelte sie ihn an:
    Wissen Sie, ich bin das älteste Sotzbacher Mädchen und ich bin hier geboren, hier im Haus. Und ich war bei der Frankfurter Rundschau und ich hab fünf Kinderchen geboren, ja. Und ich hab noch Englisch gelernt.
    Der Fahrstuhl ging auf und der Leichenbestatter schob Frau Wissmar über den holperigen Steg hinein.
    Nadjeschda erschien außer Atem vor der Tür und schlug die Hände auf die Brust.
    Oh, Frau Wissmar! Jetzt geht fort für iemer! Oh, wie schade, Frau Wissmar, oh wie schade! Aber vielleicht jetzt tanzt in schöne Hotel in schöne Kleider? Hm? Oh schade Frau Wissmar, oh, sehr, sehr schade!
    Nadjeschda kamen die Tränen. Frau Wissmar aber fuhr in den Fahrstuhl hinein und wenig später in den Abgrund. So war es nun einmal.
    Wer hier herauskam, der wurde getragen.
    Wer einmal drin war, kam nie mehr lebend heraus.

Der Abendwind wehte   und ein Oktober, der nach Frühling roch, hatte Ivy ein mildes Licht auf die Nase gelegt. Er war ausgeschlafen. Hatte nach dem Frühdienst geruht und wusste, dass er morgen frei hatte, also viel, viel Zeit. Und so war für ihn der helle Abend sein neuer Morgen und er konnte sich in die Nacht stürzen, die den Mond als Sonne trug.
    Ivy hatte sich schön gemacht. Seine Oberarme geölt und ein neues T-Shirt angezogen, und eine sanft schimmernde Gesichtscreme aufgetragen. Neues Spiel, neues Glück. Es musste nicht immer Fredderik sein, Fredderik, Fredderik. So wie alle Nächte Fredderik hießen. Doch der Klang des Namens wehte nur noch wie eine zarte Gardine vor einer sanften Brise. Ivy hörte ihn aber immer noch, hörte ihn flüstern, sah Fredderik manchmal auftauchen zwischen Männerbrüsten und Lederkappen, und dann gleich wieder verschwinden.
    Obwohl Ivy seinen Duft noch in der Nase hatte, konnte er sich immerhin die Zeit vertreiben. Andere Männer hatten auch Qualitäten, Hintern und Sehnsüchte oder Witz lass nach. Ivy traf Isermann und Isermann traf Max und zu dritt gingen sie vom Brother Louie ins Ogtagon und vom Ogtagon ins Orion und sie wären gerne wieder ins Brother Louie gegangen und dann wieder ins Ogtagon und dann wieder ins Orion. Doch die Zeit arbeitete gegen sie, und die Gefahr der aufgehenden Sonne wurde immer größer. Noch war die Nacht nicht lang genug, noch waren sie nicht satt, noch mussten sie etwas erleben, verhandeln, damit die Nacht noch länger ging, trunken bleiben, so lange es eben ging. Und zu dritt flogen sie aus dem Orion, das um vier Uhr schloss.
    Wo sollen wir denn mal hin, hier ist doch alles zu.
    Ich habe Kohldampf, sagte Iserman und ich will was essen.
    Ja wo denn?
    Na in der Nuttenpizzeria in der Kolbestraße. Die hat doch immer auf.
    Sie riefen sich ein Taxi und ließen sich in die Kolbestraße fahren, wo allmählich das Rotlicht der umliegenden Kneipen einen fahlen Ton annahm und hier und da verlöschte. In der kleinen Stehpizzeria mit dem pakistanischen Pizzabäcker aber saß noch ein eingeschlafener dicker Freier in weißem Hemd auf einem Barhocker und davor eine Frau mit braunem, glattem Haar und leicht graubraunem Teint im roten Minirock und einer Korsage, die sie aus Bequemlichkeit auf dem Rücken halb geöffnet hatte. Je links und rechts von den Spaghettiträgern wurde das Fett emporgedrückt und bildete am Rande der Korsage einige Wülste. Die Brust war für männliche Bedürfnisse zufrieden stellend, die Beine etwas dünn, jedoch mit Netzstrumpfhosen sündig verhüllt. Sie hatte einen Pumps ausgezogen und und aß ein viertel Stück Pizza Funghi.
    Hey, hör mal!, rief Ivy. – Guten Appetit!
    Die Frau sah unbeteiligt und gelangweilt in die Runde und sagte nur:
    Gib dir keine Mühe. Heute Nacht arbeite ich nicht mehr.
    Brauchst du auch gar nicht, wir sind keine Heten.
    Die Frau warf eine lange Strähne auf den Rücken und sah Ivy spöttisch an.
    Du auch nicht?
    Kommt auf einen Versuch an.
    Nee, heute wird nichts mehr versucht. Bagger dir bei Tag eine hübsche Kleine an, sparst du auch Geld.
    Nee, sagte Ivy und bestellte sich eine Pizza Vier Jahreszeiten. – Werte Dame, ich bin stockschwul.
    Mit Ausrutschern, sagte Isermann.
    Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, sagte Max. - Niemand braucht sich hier zu rechtfertigen. Ein wenig bi schadet nie.
    Bi, okay. Das ließ Ivy gelten.
    Was kostet das eigentlich?, fragte Ivy die müde, hungrige Dame, die lange Fäden von der Funghi zog und mit

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