Die letzten Dinge - Roman
verkrustet, …
Mein Gott … Er half ihr langsam auf die Beine, untersuchte ihre Knie und den Rücken, wischte die Hand unter Wasser sauber und Klara Eisbrenner entschuldigte sich unentwegt.
Jetzt hast du schon wieder Arbeit mit mir …
Nein, Chefin, das macht mir ja nichts aus, aber … auf der anderen Seite … es kann so nicht weitergehen! Du bist jetzt das dritte Mal in dieser Woche gestürzt!
Klara Eisbrenner stützte sich auf ihn und wackelte Schrittchen für Schrittchen zu ihrer Essbank.
Danke, Siegmund, danke.
Er untersuchte ihren weißen Kopf mit den hübschen Löckchen, aber bis auf die Hand war Frau Eisbrenner unverletzt. Der Schreiner betrachtete sie und schüttelte den Kopf.
Wieso hast du denn auch da am Herd rumgeschafft, du hast doch jetzt eine Frau, die dir hilft!
Ja, aber … sie macht es ja nicht ganz richtig! Da ist immer noch was verkrustet, zwischen dem Edelstahlring und der Kochplatte, das kratze ich immer mit dem Windmühlenmesserchen weg …
Klara, bei dir war alles immer picobello, ich weiß … nur …
Frau Eisbrenners Kopf sank.
Es machte ihr ja doch zu schaffen, dass sie den Haushalt nicht mehr recht führen konnte. Jedenfalls nicht mehr so, dass sie auch zufrieden war.
Frau Eisbrenners Atem ging noch etwas flach von der Aufregung und sie richtete ihre schöne Bluse, bis der Rüschenkragen und die Bernsteinkette wieder ordentlich hingen. Der Schreiner hockte sich vor ihre Füße und sah sich noch einmal um.
Diese Küche, die seine eigene geworden war, damals, als Eisbrenners ihn aufgenommen hatten wie einen Sohn. Als vierzehnjähriger Schreinerlehrling nach den Bombennächten, in denen seine Eltern umgekommen waren. Er hatte in diesem großen, ehrwürdigen Antiquitätengeschäft das Schreinerhandwerk gelernt und war niemals irgendwo anders hingegangen. Hier hatte er geheiratet, hier um die Ecke wohnte er, hier schliff er Tag für Tag seines Lebens Stühle und Vitrinen, Schränke aus dem Barock und aus der Gründerzeit, englische Sekretäre aus dem Edwardianischen, Tische aus dem Biedermeier und Aufsatzkommoden aus dem Josefinischen.
Jetzt sah er Klara Eisbrenner zu, wie sie jeden Tag hilfloser wurde, stürzte, sich beim Einkaufen verlief, das Telefon nicht mehr bedienen konnte, die Strümpfe nicht mehr alleine anziehen konnte.
Ich bin auch noch so dusselig und so dappig geworden.
Unglücklich saß sie vor der Fensterbank mit den Zinnkrügen und Karaffen auf den Brokatdeckchen. Das Fenster hatte bernsteinfarbene Konvexscheiben mit Bleiverglasung und die grünbeigeroten Gobelingardinen waren mit stilisierten Rosen gestickt, Frau Eisbrenner hatte sie sorgfältig mit Nädelchen besteckt, weil sie so schwer waren und nicht recht fallen wollten.
Klara … wir müssen reden.
Was meinst du denn, Siegmund? Ach Siegmund, immer musst du dich um mich kümmern, immer musst du rennen und machen und tun und mir passiert so was.
Aber das ist doch nicht schlimm, Klara. Darum geht es nicht. Es ist nur … wir haben ja schon öfter darüber gesprochen … es ist so. Ich habe einen Platz für dich gefunden. Es ist nicht weit weg – ich kann sogar zu Fuß hingehen! Es ist das Haus Abendrot. Also nicht weit weg und all deine Verwandten können dich besuchen … und du kannst jederzeit am Tag hierher. Ich kann dafür sorgen, dass alles erhalten bleibt, das Haus, die Küche … mit deinem Einverständnis natürlich. Geld ist ja Gott sei Dank kein Problem, wenn wir es klug anstellen, bleibt alles, wie es ist, aber du brauchst jetzt ein wenig Pflege. Ein gutes Heim, wo die Schwestern nach dir gucken, wo du gekocht kriegst und dich nicht mehr kümmern musst.
Klara Eisbrenner ließ den Kopf sinken. Legte die Hände ineinander.
Ja, Siegmund. Dann ist es jetzt so weit. Das ist mir nicht leicht.
Es muss sein. Ich habe schon mit dem Heimleiter gesprochen. Du kannst es dir einfach mal ansehen, wenn du willst.
Ist gut, Siegmund. Ja, ist gut!
Sie stand sofort auf.
Da muss ich aber … da muss ich mich aber umziehen, so bin ich doch nicht richtig, wenn wir jetzt in das Altersheim … da muss ich doch …
Doch nicht gleich! Beruhige dich. Morgen, morgen gehen wir mal vorbei.
Nicht jetzt?
Nein. Komm, wir gehen jetzt ins Wohnzimmer und ich brühe dir einen Kaffee auf und dann kannst du ein wenig Wunschkonzert schauen, da kommen lauter schöne Sachen, und den Haushalt, den lässt du Frau Scherer machen, dafür wird sie ja bezahlt.
Klara Eisbrenner nickte. Sie war eigenartig hingegeben,
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