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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Moltex aus dem Bett, betupfte Millimeter für Millimeter mit dem Zellstoff das rohe Fleisch, spülte es mit Wasser ab, nahm die verschmutzten Wundkissen heraus und schnitt neue zurecht, um sie nach der Reinigung sorgfältig mit der Pinzette hineinzulegen. Klebte eine Kompresse darüber und schmierte die Haut mit Panthenol ein, sprühte ein duftendes Öl, um den Geruch zu vertreiben. Dann entfernte sie die alten Windeln, die verdorbene Moltexunterlage und knotete den Müllsack zu.
    Oichee, stöhnte Herr Schiwrin. – Oichee.
    Aach Schiwrin – ich kann nicht helfen, was machen?
    Oichee, danke, Nadjeschda, danke.
    Nadjeschda legte Schiwrin die Hand auf die Schulter.
    Ooou, aber sehr tapfer, so tapfer mit so viel Schmerzen.
    Schiwrin schüttelte schwach den kranken Kopf. Die Schmerzen konnte er nicht recht spüren. Nur die vollkommene Auszehrung, die Schwäche, die Mühe, diesen verderbenden Leib auszuhalten. Noch einmal einatmen. Noch einmal ausatmen. Er hatte keine Kraft mehr, seine Nase in die Ritze zur Wand zu stecken. Er hatte keine Kraft mehr, einen Arm zu heben, er hatte keine Kraft mehr, die Augen aufzumachen, um Nadjeschda anzusehen, die immer noch eine Hand auf seinen Schultern liegen hatte, während sie ihre Pflege weitermachte.
    Guckst du – eine Stunde! Eine Stunde ich bin bei dir gewesen, Jewgeni Schiwrin! Du willst nur, ich soll kommen ganze Zeit! Soll iemer bei dir sein!
    Schiwrin versuchte ein Lächeln. Nadjeschda hielt ihm den Schnabelbecher an den Mund.
    Kommst du, trinken, joo! Komm, nur ein Schluck!
    Schiwrin trank auch nur einen einzigen Schluck. Dann wollte er wieder liegen. Nadjeschda hielt seinen Kopf, um ihm noch einen Schluck zu geben.
    Nimmst du, komm, du verlierst so viel Wasser!
    Mühsam schluckte Schiwrin, aber nur, weil Nadjeschda ihm den Kopf hielt, nur, weil sie nicht nachgab, nur, weil sie den Schnabelbecher einfach nicht fortnahm.
    No, gut, sagte Nadjeschda. – Jetzt ich gehe spritzen. Schlafst du, Jewgeni Schiwrin. Machst du die Augen zu. Wirst du ruhen.
    Hoffentlich ist es bald vorbei, sagte Schiwrin. Und er lauschte Nadjeschdas Schritten, die sich entfernten, und dem Rollen des Pflegewagens, den sie hinter sich herzog. Das Rollen verwandelte sich in ein Summen, das Summen in ein Windgeräusch, der Wind blies ihm einen Gesang in den Kopf, einen Bass, einen Männerchor, der von der Wolga sang. Schiwrin schloss die Augen.

Donna Lucia Pia   war von ihren Darmwinden genesen. Sie nieste in ein kleines Spitzenhandtuch und goss sich Tee ein.
    Gianna Regiannini saß bei ihr und beide überlegten, wie sie den Padre nach ihrem mittelmäßig geglückten Auftritt in der Kleiderkammer noch einmal überzeugen konnten. Schließlich war zum einen das Gespenst kaum sichtbar gewesen und Donna Lucia Pia war sich im Nachhinein auch bezüglich ihrer Eingebungen nicht mehr so sicher. Schließlich hatte der Padre neben ihr gestanden und Donna Lucia Pia hatte ja irgendetwas sagen müssen, damit er nicht umsonst seine Zeit mit der Familie Regiannini verplempert hatte.
    Auch der Knochensplitter vom heiligen Lorenzo war nicht ausreichend zum Zuge gekommen und hätte doch als Einziges vielleicht etwas bewirken können. Es war einfach dieses Magenreißen gewesen, das ihre Gabe beeinträchtigt hatte, wer so ein Gluckern im Bauch hatte, der konnte doch keine höheren Empfindungen haben! Sie mussten sich noch einmal aufmachen, um der armen, wenn auch sturen Seele zu helfen.
    Sie mussten noch einmal mit dem Padre hinaufgehen. Vielleicht konnte sie, Donna Lucia, die verlorene Seele doch noch einfangen und sie dem Herrgott zurückzugeben, dem sie ja entflutscht war wie ein Luftballon. Damit konnten sie Pater Ludolfus beeindrucken.
    Allzu sicher fühlten Gianna und Lucia sich nicht, aber sie beschlossen, den Padre aufzusuchen und ihn zu fragen, wann er noch einmal Zeit hätte, mit ihnen das arme Wesen zwischen Himmel und Hölle zu suchen und vielleicht mit ihm zu reden. Wäre nur der Weg nicht so beschwerlich gewesen. Aber sie konnten ja mit der Straßenbahn fahren.

Aber Klara!  
    Der kleine Schreiner Siegmund Brecht öffnete die Tür zur Küche und fand Klara Eisbrenner auf dem Boden knieend. Ihre Hand blutete und ein Windmühlenmesserchen lag neben ihr und der Wasserkessel war ebenfalls heruntergefallen und lag ohne Deckel vor der Spüle.
    Ja, Chefin?! Hast du dir weh getan? Was hast du denn wieder gemacht, heiliger Gott, Klara!
    Ich wollte ja nur … ich wollte … da sind doch immer … der Herd ist so

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