Die letzten Dinge - Roman
Cola hinterherspülte.
Dreißig für ’n Blowjob. Fünfzig mit allem Drum und Dran.
Ivy kam eine Idee.
Hör mal. Machst du auch Hausbesuche?
Wie bitte?
Na ja, ob du Menschen an ihrer Wohnstätte aufsuchst, um sie dort zu beglücken.
Wenn ich gefahren werde oder man das Taxi bezahlt. Ich hasse öffentliche Verkehrsmittel.
Kommst du auch mal bei Tag oder nur nachts?
Nachmittags ab 16.00 Uhr. Vorher geht nix. Es sei denn, die Kasse stimmt.
Ivy überlegte. Seine Pizza kam und eine riesige Cola. Dann hatte er nur noch drei Euro im Geldbeutel und diese Nacht war sowieso im Eimer.
Hast du … irgendwie … Vorlieben …? Nein, ich meine eher, Abneigungen? Ich meine, gibt es Freier, die du von vorneherein ablehnst?
Na ja, sagte die Dame und machte einen Rücken so krumm wie einen Fidelbogen. – Keine Sados. Keine Vollsäufer. Und nur mit Gummi, sonst ist eigentlich egal.
Und wenn da jetzt einer wäre, der … sagen wir … nicht ganz dicht ist?
Sage ich doch, Sados und Perverse mache ich nicht.
Und wenn da jetzt einer wäre, der … äm, jetzt nicht mehr so kann, also, wenn der vielleicht nur gucken will und bisschen grapschen, und … vielleicht nicht so gut aussieht.
Gott, fürs Aussehen kann er ja nix, wenn die Kohle stimmt und der ’n bisschen lieb ist … egal. Hat sich ja keiner selber gemacht.
Das ist toll. – Ivy drehte noch mal auf. – Sag mal … hast du vielleicht eine Visitenkarte? Ich meine … also, ich bin Pfleger.
Wie süß!
Das war Ivy gewöhnt. Wenn Frauen hörten, dass er Pfleger war, schmolzen sie dahin. Das war immer ein Pluspunkt.
Und ich habe da jemanden …
Schon okay. Weil du’s bist. Aber wenn es da Schwierigkeiten gibt oder Unannehmlichkeiten – kostet das zehn Euro mehr, verstanden? Ich meine das gut und ich mache gute Arbeit – aber ich bin ja nicht die Caritas.
Ist okay.
Ivy holte das Papierchen einer Marlboroschachtel heraus und schrieb sich die Nummer der Frau auf.
Wie heißt du denn?
Shoushou.
Wie noch mal?
Shoushou! Hier ist die Handynummer, kannst du ablesen.
Hey, das ist echt toll, sagte Ivy. – Echt! Also müsste das jetzt so sein. Echt klasse!
Und der dicke Freier fing plötzlich an sich zu bewegen und der pakistanische Pizzabäcker schaute nervös und besorgt zu ihm hin. Das neongrelle Licht beleuchtete sie alle etwas grünlich und schmeichelte niemandem. Der Freier fing an, im Inneren zu rumpeln und zu husten, setzte sich auf und ohne dass er die Augen öffnen konnte, lief ihm unentwegt der Speichel durch die dicken Lippen, er beugte sich weit vor und er erbrach eine reine Flüssigkeit in leuchtendem, schrillem Gelb auf den Boden.
Iieh, schrie Isermann.
Iiiieh, schrien alle und packten ihre Pizzen und rasten aus der Tür. Der Pakistani fluchte in hoher Stimmlage und blieb allein mit dem blinden, fetten Freier zurück.
Nicht am Feierabend, sagte Ivy. Nicht am Feierabend!
Er warf sich die Jacke über, die Dame im roten Ledermini stolperte davon und Isermann und Max verabschiedeten sich.
So Ivy, das war’s, Max und ich gehen. Ich weiß nicht, wenn du noch was machen willst … aber wir haben genug.
Ach, … joh, ja, ich weiß auch nicht, das war’s dann, glaube ich.
Kurzfristig dachte er wehmütig an Fredderik, in welchen Armen mochte er jetzt liegen. Der war bestimmt nicht allein. Der nicht. Und er rannte vor dem Streifen der hellen Sonne am Firmament davon, lief vor dem ganzen Himmel davon und floh in letzter Sekunde in sein Mietshaus in den fünften Stock und zog die Vorhänge runter und machte die Rollos dicht.
Ach, warum musste nur der Morgen immer wieder kommen? Wie lästig, wie blöde, der Morgen warf ihn grausam zurück in die nüchterne Welt. Widerwillig kroch er ins Bett, widerwillig schloss er die Augen und widerwillig schlief er endlich ein und träumte gar nichts.
Lotta aber träumte von einer riesigen Blume. Die Blume war so groß wie eine Laterne und sie blühte leuchtend gelb, erst dann begriff Lotta im Traum: Es war die Osterglocke, die Rosalinde der Frau Wissmar im Tod an die Wange gelegt hatte. Jetzt war sie riesig erblüht und sie diente der Frau Wissmar als schützender Schirm. Sie stand darunter an einem hohen Stehpult und sie las. Blätterte Seite für Seite in einem dicken, dicken Buch und das Buch hatte einen Goldschnitt. Frau Wissmar sah gut aus, eine wunderschöne Frisur, sie war hoch und schlank und sah sehr klug aus, sehr gebildet. Unentwegt las sie in dem dicken Buch. Es war das Buch ihres Lebens.
Dann
Weitere Kostenlose Bücher