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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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eine Erscheinung, ein Etwas, eine Gestalt. Lotta bekreuzigte sich, ein Reflex aus der Kindheit, sie zitterte und wich zurück.
    WAS ist das?
    Der weiße Schatten war stehen geblieben und hockte unverwandt in einer Ecke. Lotta wagte kaum, hinzusehen. War das eine Art Schlossgespenst, das die Kleider überwachte und sie nun strafen wollte, weil sie eine Jacke ausgeliehen hatte? Was sollte sie machen? Angstvoll hob Lotta das Jäckchen wieder auf und hängte es auf einen Bügel, immer den weißen Fleck fixierend, der sich verdichtete und wieder aufzulösen schien, dann aber da unter der Dachschräge zu verweilen schien. Plötzlich hatte Lotta das Gefühl, sie habe das Wesen gestört und sie müsse sich nun entschuldigen und schnellstmöglich verschwinden.
    Sie schloss ganz schnell die Tür hinter sich. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Das war … paranormal. Einfach unnormal. Aber was in diesem Haus voller Stöhnen und Schreien war schon normal?
    Lotta atmete tief ein. Besser keinem davon erzählen. Aber wenn sie nichts erzählte, dann erstickte sie daran. Sie brauchte irgendjemanden, an den sie sich wenden konnte und der sie nicht für verrückt erklärte. Jemand, der … der … Ivy natürlich. Auf jeden Fall wollte sie sich diese Jacke nie wieder holen. Lieber nicht! Wer weiß.
    Verpeilt, sagte sie sich. – Völlig verpeilt. Das hast du nur geträumt. Das ist alles nicht wahr. Nein, es stimmt einfach nicht.
    Sie sprintete zum Telefon, verwählte sich fünfmal und schrie dann atemlos in das Telefon hinein.
    Ivy?? Ivy, bist du da?? Ivy, du ahnst nicht, was ich gesehen habe!
    Ivy?? Hör mal, ich stehe hier in meinem Zimmer und will nur mal da was in die Kleiderkammer bringen, da … da war ein echtes … wie: fängst du auch noch damit an. Ivy, das ist wahr! Da war ein Gespenst!!!
    Tja also … sagte Ivy am anderen Ende. – Hast du Bock, heute Abend mal ins Einhorn zu gehen? So um acht Uhr? Dann erzählst du mir alles vom Gespenst und ich muss dir auch was zeigen!
    Wieso – was willst du mir denn zeigen?
    Ich hab eine Nutte gefunden!
    Und ich ein Gespenst.
    Dann trinken wir einen und dann gehen wir los und ich zeige dir die Nutte für den Kurtacker.
    Ach du lieber Gott. Eine Nutte, auch das noch. Von mir aus.
    Huren, Gespenster, Tote, Untote, Eltern. Alles an einem Tag. In diesem Pflegeheim war die Hölle los. Lotta legte auf. Was immer sie ihren Eltern am Nachmittag erzählt hatte: Es war nur ein Bruchteil dessen, was wirklich geschah. Das konnte man gar keinem erzählen – außer Ivy. Lotta sah noch mal in den Spiegel. Öffnete ein Büchsenbier, dass es nur so zischte, und stöhnte auf. Was sie sah, war ihr Spiegelbild und sie sagte sich:
    Verpeilt. Restlos – verpeilt.

Uljana Schiwrin  , Valerija Webknecht und Darijah Kloft saßen verbittert am Bett von Jewgeni Schiwrin. Uljana drückte noch einmal nachdrücklich die Klingel und Darijah stand auf und ging unruhig hin und her.
    Kann nicht so bleiben!, sagte Darijah. – Das geht nicht. Er ist kein Tier, er ist ein Mensch.
    Valerija hielt sich die Nase zu.
    Puh! Wie das stinkt.
    Pflegestufe III. Er hat Pflegestufe III!, sagte Uljana. -Und dann so was!
    Niemand kam. Uljana drückte wieder und wieder die Klingel. Schließlich stand sie auf.
    Ich werde Schwester suchen gehen.
    Nein, lass mich das machen, sagte Darijah. Ich kann besser Deutsch.
    Aber die Schwester ist Russin.
    Egal.
    Darijah riss die Tür auf und sah den Flur hinauf und hinab. Sonntagnachmittag. Angehörige holten ihre Verwandten, um ins Café zu fahren. Die Alten waren schön angezogen und trugen auch mal einen Schlips. Eine Art Feiertagsstimmung und eine Wolke von schlechtem Gewissen und verwandtschaftlichem Unbehagen lagen über der Station. Kein weißer Kittel weit und breit. Nur leuchtende Lämpchen über verschiedenen Türen, eines grün, zwei rot.
    Darijah rannte zum Stationszimmer und klopfte. Niemand öffnete, sie rüttelte an der Tür, sie war verschlossen.
    Darijah fluchte. Ihr Vater lag im eigenen Dreck und kein Mensch weit und breit, der sich kümmerte. Die Station war lang, kilometerlang dieser Flur. Hinter einer dieser Türen musste Nadjeschda stecken. Oder sonst jemand. Irgendwo musste doch jemand sein. Darijah schnalzte mit der Zunge und streifte wütend die Holzbande an der Wand. Sie blickte in den Aufenthaltsraum. Aber da saß nur ein altes, krummes Männlein voller Brötchenkrümel, der angestrengt im Fernseher Lieselotte Pulver anstarrte und unentwegt Deddeddeddei

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