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Die letzten Dinge - Roman

Die letzten Dinge - Roman

Titel: Die letzten Dinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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sagte.
    Gab es das? Eine ganze Station ohne Betreuung? Nein, das war nicht möglich.
    Sie würde sich beschweren. Morgen früh. Einen knallharten Brief schreiben. Nein, besser, sie würde vorbeikommen und dem Heimleiter den Kopf abreißen. Ihren Vater derart liegen zu lassen. Das war menschenunwürdig.
    Hallo?, rief sie. Schaute in den Wäscheraum, in den Frühstückssaal und sah plötzlich den Streif von einem weißen Kittel. Sie sprintete hinterher, dass ihre kurzen roten Locken flogen. Der Streif verschwand in einem Schmutzraum mit Wäschesäcken, Desinfektionsmitteln und einer Spülanlage aus Edelstahl.
    Hah! Da war sie. Darijah steckte den Kopf um die Ecke und sah sie: eine lächerliche, winzige, philippinische Aushilfsschwester.
    Ja bitte?, sagte die kleine, freundliche, schöne Schwester.
    Hören Sie mal! Wir schellen schon seit Stunden! Wir möchten, dass mein Vater, der Herr Schiwrin, saubergemacht wird. Er liegt in seinem eigenen Dreck!
    Flink entfaltete Luz einen neuen Wäschesack und hängte ihn an den Ständer. Ja, sagte sie. Alle Menssen brauchen Hilfe. Mach iss fertig Frau Wilhelm. Dann iss komme.
    Ich möchte bitte, dass Sie sofort kommen, oder ich werde mich über Sie beschweren.
    Luz nickte freundlich. – Iss kann verstehen, Herr Schiwrin geht nisst gut. Iss mache ssnell!
    Und wie der Wind war sie entwischt und sprang über die Station, behend wie ein tanzendes Zwirnsröllchen.
    Mist, verdammter, sagte Darijah. Sie brauchte eine starke, robuste Kampfschwester, nicht so ein springendes Dingsda.
    Wo ist denn Nadjeschda?, wollte sie noch rufen. Aber die Kleine war schon verschwunden. Am besten, Darijah ging der Klingel nach. Ging überall mal hinein, wo ein Lämpchen leuchtete. Sie klopfte. Schweigen. Nur das Summen der Klingel. Schließlich öffnete sie einfach.
    Gut, dass Sie kommen, sagte eine ältliche Stimme. - Wissen Sie, ich kann ja nicht lesen, mir ist die Brille heruntergefallen und ich kann mich nicht bücken.
    Oh, sagte Darijah. Das ist alles?
    Ja und wenn Sie mir noch ein Glas Wasser eingießen könnten? Wissen Sie, ich kriege die Flasche nicht auf.
    Darijah hob die Brille auf und goss das Wasser ein und wollte ungeduldig wieder verschwinden. Aber die Dame bat noch um ihre Keksdose und fragte nach der Fernbedienung. Ob nicht ihre Tochter angerufen hätte? Und wann es Abendbrot gab. Ob sie wüsste, ob heute Abend Carmen Nebel mit dem Wunschkonzert käme. Und ob sie sich nicht ein wenig zu ihr setzen wollte?
    Ach! Darijah wurde ärgerlich. Was denn noch. Schließlich brauchte SIE die Schwester und nicht diese dumme Alte da.
    Ich bin in Eile, Verzeihung, sagte sie. Dann lief sie weiter zur nächsten Klingel und beschloss, die Tür aufzureißen und sofort wieder zu verschwinden, wenn kein Pfleger drin war.
    Hinter der nächsten Tür sah sie nur einen Turm von Wäsche, den Pflegewagen und eine Art Kran, der eine große, sehr beleibte Dame im Schnabel trug wie ein metallener Klapperstorch, Nadjeschda, mit hochrotem Kopf, ließ den Baukran langsam sinken, bis die Dicke stöhnend und erleichtert wieder im Bett landete.
    Ach, das hat doch alles keinen Zweck, sagte sich Darijah. Machte die Tür wieder zu und ging schlecht gelaunt zurück zu Schiwrin.
    Was sollte man machen? Morgen würde sie beim Heimleiter die Sau rauslassen. Morgen rollten Köpfe. Dafür würde sie, Darijah, schon sorgen.
    Ein Skandal war das. Ein Skandal.
    Sie sah schweigend in die stummen Gesichter und winkte auf die fragenden Blicke nur ab. Man hockte wieder zusammen, Darijah, Valerija und Uljana. Sie hatten Schiwrin den Rücken zugedreht und sprachen kein Wort. Hielten ihre Handtaschen fest und blickten verbiestert auf einen kleinen Blumentisch. Es kam keine Hilfe. Das Leben war doch nur einen Scheißdreck wert und was galt schon ein Mensch. Gar nichts.
    So weit war er gekommen, der Herr Ingenieur. Und er hatte immer gesagt: In Deutschland wird alles besser werden. In Deutschland! Da packen sie es besser an. Wenn wir erst mal da sind!
    Dann geht es uns endlich gut.
    Stattdessen? Da lag Jewgeni Schiwrin nun in seinem eigenen Dreck und musste verrecken so elend, noch elender als ein Hund.

Shoushou Wollweber   stand gelangweilt auf dem Strich und wackelte mit dem Hintern. Ihre strähnigen Haare flogen im Fahrtwind der vorbeirollenden Autos nach hinten und sie wickelte sich fröstelnd in ein türkises, kurzes Pelzimitat. Der Rock endete am Steißbein und in ihren dünnen, hochhackigen Schuhen stakste sie immer den Rinnstein auf

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