Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)
einfachen Improvisation: Er nahm ein Stück Kohle und zog einen Strich über die Kehlen der Opfer, bevor sie in den Hof geführt wurden, um seinen zunehmend nervöser und unsicherer werdenden Helfern gewissermaßen eine Leitlinie vorzugeben. Es blieb trotzdem eine höchst schlimme Sache, selbst für diese Männer, die an schlimme Dinge gewöhnt waren. Aber, um Brzica zu zitieren, der, nachdem die Hinrichtungen vorüber waren, die Sache tiefsinnig auf den Punkt brachte– und wer hätte es schon besser wissen können als er?: Selbst das grausamste Martyrium muss durchgestanden werden.
Am Abend war die Verschwörung erledigt, wie eine brutale Ernte, und trotz aller Irrtümer und Dummheiten war Boscos großes Spiel zu seinen Gunsten ausgegangen. Selbst Bosco, dieser stille Wahnsinnige, war erstaunt, dass es geschafft war. Aber es sollte noch gewisse Nachwirkungen geben. Als die Stadt gesichert war und viel mehr Erfolge als Fehlschläge zu verzeichnen waren, mit einigen wenigen Flüchtigen und ein paar bedauerlichen Verwechslungen, wurde die Nachricht von Cales Sieg einer verängstigten und verwirrten Einwohnerschaft weitergegeben, die von den Ereignissen dieses Tages zutiefst beunruhigt war. Die Nachricht vom Sieg verlieh den Gerüchten Flügel, dass sich Antagonisten, die schon seit Langem als Schläfer mitten im Alltag der Stadt gelebt hätten, nunmehr erhoben; sie hätten jedoch nur unter furchtbaren Verlusten unter den berühmten Männern und Heiligen Vätern der Kirche besiegt werden können. Das alles ergab sehr viel Sinn; jede andere Erklärung wäre ohnehin viel weniger plausibel erschienen: Umsturz? Revolution? Hier, in Chartres? Außerdem waren naturgemäß nicht mehr sehr viele übrig, die gewillt und in der Lage gewesen wären, den Gerüchten zu widersprechen. In knapp sechsunddreißig Stunden waren die Erlöser selbst erlöst worden, und in Boscos Gedankenwelt hatte sich die Welt nunmehr ihrer größten und endgültigen Reinigung zugewandt.
Am späten Abend zog sich Papst Bento in sein Schlafgemach zurück. Von der wirklichen Beschaffenheit der Ereignisse des Tages hatte er ebenso wenig Ahnung wie die Nonnen in ihren türlosen Klöstern am Rande der Stadt. Bosco selbst hatte endlich Gelegenheit gefunden, eine Pause einzulegen und im Palast etwas zu essen, wo sich auch Gil zu ihm gesellte. Beide waren erschöpft, entkräftet in einem Maße, das keiner von ihnen für möglich gehalten hätte, und keiner war in der Laune zu reden.
»Du bist heute über dich selbst hinausgewachsen«, sagte Bosco schließlich. »Und hast damit zugleich auch Gottes große Arbeit vollbracht.«
»Dennoch wäre noch mehr zu tun«, murmelte Gil.
»Was meinst du damit?«
Gil blickte ihn an, als ginge ihm eine Ungeheuerlichkeit durch den Kopf, die besser nicht ausgesprochen werden sollte.
»Kann ich freimütig sprechen?«
»Mit mir kannst du immer freimütig sprechen. Jetzt mehr als je zuvor.«
»Ich möchte über etwas sprechen, über das nicht gesprochen werden darf.«
»Es muss wahrhaftig unaussprechlich sein, wenn du so lange um den Brei herumredest.«
»Nun gut… Ich habe in Eurem Dienst furchtbare Taten verrichtet. Heute watete ich knöcheltief durch das Blut ehrbarer Männer. Ich werde von nun an nie mehr so schlafen wie zuvor.«
»Niemand wird bestreiten, dass du bei diesen… Maßnahmen dein Seelenheil aufs Spiel gesetzt hast.«
»Ja, das stimmt. Mein Seelenheil. Aber nachdem ich mich bis an die Tore der Hölle vorgewagt habe, möchte ich mich dieser furchtbaren Gefahr nicht umsonst ausgesetzt haben. Es soll nicht umsonst gewesen sein.«
»Ich bin dasselbe Risiko eingegangen.«
»Seid Ihr das?«
»Was soll die Frage?«
»Ihr seid, wenn Ihr es wagt, die Stimme Gottes auf Erden. Was immer Ihr auf Erden bewegt, wird auch im Himmel bewegt werden. Doch Sein derzeitiger Stellvertreter auf Erden schlummert selig, ein paar Dutzend Zimmer von hier entfernt, sabbert in sein Kissen und träumt von Regenbögen und warmer Milch.«
»Und wenn schon? Er ist schließlich der Papst.«
»Diese schwachsinnige Kreatur wird Euch buchstäblich auf die Handfläche gelegt. Lasst mich an Eurer Stelle die Hand schließen.«
Wer kann wissen, welche Gedanken in Boscos Verstand zu hämmern begannen, feinste und gröbste Gedankenfetzen, die sich vermischten? Geraume Zeit sagte er kein einziges Wort.
»Du hättest es einfach tun sollen«, sagte er schließlich. »Und hättest nicht darüber sprechen sollen. Es tut mir leid, dass du
Weitere Kostenlose Bücher